Psychologin Iris Reichetseder erläutert, wie gute Vorsätze umsetzbar sind. Nicht nur mess-, sondern auch machbare Ziele stecken und auf Perfektion verzichten

Alle Jahre wieder: An Silvester fassen viele Menschen viele gute Vorsätze, wollen ihrem Leben eine neue Richtung geben. Doch wie kann ein Neuanfang tatsächlich gelingen? Wie nehmen wir Abschied von alten Gewohnheiten? Das erläutert die Hattinger Psychologin Iris Reichetseder (56) im WAZ-Interview.

Frau Reichetseder, ist der Jahreswechsel überhaupt der richtige Zeitpunkt für einen Neuanfang?

Iris Reichetseder: Das lässt sich so pauschal nicht sagen. Aber allein der Wunsch, Altes hinter sich zu lassen, sich verändern zu wollen, genügt nicht.

Worauf kommt es denn außerdem noch an?

Wichtig ist es vor allem, ein Ziel zu haben, auf das ich hinarbeiten will. Und das sollte möglichst konkret sein. Ganz egal, ob ich künftig mehr für die Gesundheit tun, mich privat oder beruflich neu orientieren will.

Was heißt das genau?

Ich sollte zum Beispiel nicht einfach den Vorsatz fassen, abnehmen zu wollen. Sondern – bleiben wir mal bei diesem Wunsch – mich auf eine Kilozahl festlegen. Noch besser ist es, wenn ich mir auch einen Zeitrahmen setze.

Aber genau so einen Vorsatz fassen doch viele an Silvester. Und trotzdem scheitern die meisten.

Das liegt oft einfach daran, dass sie sich unrealistische Ziele setzen – zehn Kilo an zehn Tagen abnehmen wollen, etwa. Andere wollen sich von jetzt auf gleich nicht mehr streiten mit dem Partner. Oder sich ab sofort nie mehr stressen lassen. So etwas ist absolut unrealistisch.

Wie mache ich es besser?

Jedes Ziel muss nicht nur mess-, sondern auch machbar sein. Ich könnte mir etwa vornehmen, pro Woche ein Kilo abzunehmen. Beim nächsten Paar-Konflikt gelassen zu bleiben. Und in der nächsten stressigen Situation nur das Machbare zu tun und auf meinen Anspruch auf Perfektheit zu verzichten. Dieser – und weniger die äußeren Umstände — ist nämlich oft Ursache dafür, dass ich etwas als stressig empfinde.

Und dann sind Vorsätze plötzlich tatsächlich umsetzbar . . .?

Wenn ich entsprechend motiviert bin – ja, dann kann ich mich und mein Verhalten in kleinen Schritten in der Tat verändern.

Gibt es Motivationstricks?

Tricks ist das falsche Wort, aber es gibt in der Tat psychologische Mechanismen, die mir helfen, mein Ziel zu erreichen. So sollte ich mir immer wieder das Positive einer Veränderung bewusst machen. Statt ans Abnehmen, das ja auch Verzicht bedeutet, sollte ich daran denken, wie ich danach aussehe. Statt mir Gedanken darüber zu machen, wie viel Kraft es mitunter kosten kann, gegenüber dem Partner die Ruhe zu bewahren, sollte ich mir das gute Verhältnis bewusst machen, das aus dem achtsameren Umgang erwächst. Und statt nachzugrübeln darüber, was mir unter Stress nicht perfekt gelingt, sollte ich mich freuen über das, was ich auch in schwierigen Situationen alles schaffe.

Also rosarote Brille statt Schwarzmalerei?

Wer positiv denkt, hat es in der Tat leichter, Abschiede im Leben zu bewältigen und mit Neuem anzufangen. Denn dahinter steckt der Gedanke, dass mir das Leben schon gelingt. Oder wie Peter Fox es in seinem Lied „Das Haus am See“ formuliert: „Ich hab’ den Tag auf meiner Seite“.