Hattingen. Gegen Verschwendung gehen Sina und Sebastian in Hattingen „Containern“. Im Müll der Supermärkte finden sie viele noch verwendbare Lebensmittel.
Eine Einkaufstasche gefüllt mit Bio-Zitronen, Paprika, Heidelbeeren, Tomaten, einer Aubergine, Zucchini, Babybananen und Sahne sind die Ausbeute aus den Mülleimern von Norma und Netto. Sina (26) und Sebastian (25) aus Hattingen sagen, dass sie „Lebensmittel retten“, indem sie in Mülltonnen von Supermärkten nach Nahrungsmitteln suchen – „Containern“ nennt sich das.
Vernichtung genießbarer Lebensmittel verhindern
„Momentan werden viele Orangen und zur Weihnachtszeit Schokolade weggeworfen“, so die 26-Jährige. Egal, wo sie sind, ein Beutel ist immer dabei, damit sie spontan Essen mitnehmen können, das sie in Mülltonnen finden. Bei Norma in der Südstadt fischt sie dann auch direkt ein Kilo-Netz Orangen aus der Tonne. Bloß zwei sind deutlich verdorben. Sina reißt das Netz auf, greift die verschimmelten Früchte und wirft sie zurück in den Müll. Der Rest wandert in den Jutebeutel.
Den Beiden geht es dabei nicht ums Geldsparen oder darum, dass sie sich Lebensmittel nicht leisten können. „In Deutschland sind Lebensmittel im Vergleich zu anderen Länder sehr billig“, weiß Sebastian. Es ist der schiere Überfluss und das Vernichten genießbarer Lebensmittel, das sie verhindern wollen.
Anzeige wegen Diebstahls und Einbruchs
Die Mülleimer stehen heute direkt neben dem überdachten Bereich für die Einkaufswagen. Am helllichten Tag bedienen sich die zwei Hattinger an den entsorgten Lebensmitteln, doch niemanden scheint das zu stören – obwohl „Containern“ in Deutschland verboten ist.
Versuche, „Containern“ zu legalisieren
Zwei Studentinnen haben kürzlich Klage beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingereicht, nachdem sie vom Amtsgericht Fürstenfeldbrück wegen Diebstahls zu je acht Stunden gemeinnütziger Arbeit und einer Geldstrafe von 225 Euro auf Bewährung verurteilt wurden.
Sina wurde aber schon einmal angezeigt wegen Diebstahls und Einbruchs, als sie einen Workshop zum Thema gab. „Zwei aus der Gruppe haben die goldenen Regeln missachtet“, erinnert sich die junge Frau. Die Gruppe war in Dresden unterwegs. Zwei Teilnehmer kletterten über einen Zaun, wühlten in den Tonnen und verteilten deren Inhalt. Deswegen rief ein Anwohner die Polizei.
Regeln für das Containern
Wichtig sei es, kein Chaos an den Mülltonnen zu hinterlassen und natürlich nicht unerlaubt abgesperrte Bereiche zu betreten. Wenn sie jemand anspreche, erkläre sie in ruhigen Ton, was sie mache. „Die Leute verstehen das in der Regel und lassen mich machen“, so die 26-Jährige.
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Sina versteht nicht, dass „Containern“ verboten ist. „Es ist doch paradox, dass ein Ladendieb eine Anzeige fürchten muss und wir zwei auch, obwohl wir Lebensmittel mitnehmen, die andere weggeworfen haben“, gibt sie zu bedenken.
Abwechslungsreicher Speiseplan durch das Containern
Seit vier fünf Jahren bediene sie sich aus den aussortierten Waren der Supermärkte. Am Anfang habe es sie Überwindung gekostet, teilweise fand sie es auch eklig. „Mein Speiseplan ist seitdem aber vielfältiger geworden. So probiere ich mich durch das ganze Sortiment“, erzählt sie.
Krank sei sie noch nie geworden von den Lebensmitteln, deren Mindesthaltbarkeitsdatum oft abgelaufen ist. „Man muss sich auf seine Sinne verlassen“, rät Sina.
In ganz Europa waren die Beiden schon unterwegs und immer finden sie weggeworfene Lebensmittel. „In Irland wird massenweise Fleisch weggeworfen“, weiß Sebastian. „In Italien haben wir einmal 30 Kilo weggeworfenen Parmesan gefunden“, erinnert sich Sina. „Selbst in einem armen Land wie Albanien sind die Container voll.“ Eigentlich sei das doch Luxus, gibt sie zu bedenken: „Im Grunde müsste hier niemand Hunger leiden.“