Hattingen. . Bei Kindern und Jugendlichen sehen Eltern in Hattingen öfter ein Problem. Doch Suchtberater können meist beruhigen: Medienkonsum sei oft normal.
- Nicht die mit den Medien verbrachte Zeit ist ein Hinweis auf eine Abhängigkeit
- Vernachlässigung von Freunden, Sport und Schule können Sucht-Anzeichen sein
- Drogen und Alkohol sind immer noch die größere Gefahr für Jugendliche
Meistens sind es Eltern, die sich sorgen, dass ihre Kinder mediensüchtig sein könnten – und suchen Hilfe bei Experten: Diese Erfahrung haben städtische Mitarbeiter ebenso gemacht wie Branko Wositsch, Leiter des Suchthilfezentrums der Caritas Ennepe-Ruhr, der in der Heggerstraße anzutreffen ist.
Er kann Eltern, die ihn aufsuchen, meist beruhigen. „Denn ein hoher Medienkonsum ist heute normal. Man könnte das Handy als dritte Hand bezeichnen.“
Schulverweigerung kann ein Indiz sein
Mit Wositsch im Team ist Sabine Keinhörster (25). Sie hat viel in der Prävention auch mit achten Klassen an Hattinger Schulen gearbeitet. Sie betont, dass nicht unbedingt die mit den Medien verbrachte Zeit ein Indikator für eine Abhängigkeit sei. „Die kann man eher am Verhalten festmachen.“ Das heißt: Hat jemand keine Hobbys mehr, macht er keinen Sport mehr, zieht er sich zurück, wird in der Schule schlecht, hilft nicht mehr im Haushalt oder wird aggressiv, wenn er beispielsweise nicht am PC spielen darf – dann liegt in der Tat ein Problem vor.
„Die Abteilung Jugendförderung hat auch bei Schulverweigerern das Thema Medienabhängigkeit bei der Diagnostik im Hinterkopf. Denn wenn Jugendliche die Nächte vor dem PC durchspielen, kann es sein, dass sie in der Schule müde sind oder gar nicht erst hingehen“, sagt Stadtsprecherin Jana Golus.
Etwa 25 Anfragen pro Jahr bei der Caritas
20 bis 25 Anfragen pro Jahr von Eltern gehen bei Wositsch ein. 90 Prozent der Jugendlichen lädt er ein. Bei 50 Prozent von ihnen sieht er Gesprächsbedarf. „Bei neun Jugendliche im Jahr gehen wir davon aus, dass sie ein Problem mit der Mediennutzung haben.“
Die Stadt kann keine Zahl nennen, wie oft Medienabhängigkeit in der Beratungssprechstunde für Eltern und Jugendliche der Erziehungsberatungsstelle Thema ist. Beim Kinderschutzbund wird bei Cordula Buchgeister Medienabhängigkeit selten angesprochen. „In meiner hauptberuflichen Tätigkeit als Abteilungsleitung im Bereich Jugendhilfe bei HAZ Arbeit + Zukunft schon eher. Hier hatten wir in den Gruppen der sozialen Gruppenarbeit und in der Schulsozialarbeit schon den ein oder anderen Fall.“ Eine Anlaufstelle für Betroffene kann auch das Café Sprungbrett, Steinhagen, sein.
Unterscheiden, was mit Medien gemacht wird
Viel Medienkonsum gehört „heute dazu, was wir vor fünf Jahren noch bedenklich fanden, ist heute üblich“, erklärt Wositsch. Youtube, Chats, Spiele – es gibt viele Möglichkeiten. „Man muss unterscheiden: Wird für die Schule recherchiert? Wird gespielt? Gechattet?“ Dem Gaming verfallen allerdings wenn dann eher Jungen.
Wositsch wie Golus betonen die Vorbildfunktion der Eltern. 2016 wies die Kampagne „Sprechen Sie lieber mit Ihrem Kind“ darauf hin, dass Babys und Kleinkinder von der digitalen Kommunikation via Smartphone ausgeschlossen sind.
Jugendliche unterschätzen eigenen Konsum
Sabine Keinhörster beschreibt, wie sie mit Jugendlichen arbeitet: „Anfangs lasse ich sie immer schätzen, wie viel Zeit sie mit den Medien verbringen. Die meisten unterschätzen die Zeit, sind erstaunt, wenn sie ein Tagebuch führen.“ Ist für Jugendliche das „Gamen“, also Spielen, quasi „Lebens- und Weltersatz“, dann hilft nach Ansicht der Experten oft nur noch das ambulant betreute Wohnen weiter. „Damit ein anderes Leben trainiert wird“, erklärt Wositsch. Für besonders schlimme Fälle gibt es auch die Medienambulanz in Bochum.
Für viele Eltern ist die Medienabhängigkeit ein Schreckgespenst. Dabei, weiß Wositsch, bergen nach wie vor Alkohol und Drogen die viel größere Bedrohung. Für Eltern wie Multiplikatoren bietet die Stadt regelmäßig Weiterbildungen zum Thema Medienabhängigkeit.
Medienambulanz ist Ansprechpartner bei Sucht
Laut der Medienambulanz der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des LWL-Uni-Klinikums Bochum gelten bis zu eine Million Menschen in Deutschland als medienabhängig. Die Folgen der PC-Spiel- und Kommunikationssucht sind Vereinsamung, Verwahrlosung (hinsichtlich der Körperpflege, Gesundheit, Ernährung), Depressionen, Aufmerksamkeitsstörungen, soziale Ängste.