Werl/Gladbeck. Dieter Degowski will zur Bewährung raus aus dem Gefängnis. In Werl prüfte ein Gericht den Antrag des Gladbecker Geiselgangsters (57). Ergebnis: Degowski soll auf ein Leben in Freiheit vorbereitet werden. Aber das kann Jahre dauern.

Der Gladbeck-Geiselgangster Dieter Degowski bleibt in Haft, kann aber mittelfristig auf Freiheit hoffen. Eine Entlassung aus der Justizvollzugsanstalt Werl nach 25 Gefängnis-Jahren steht derzeit nicht an. Das teilten das Landgericht Arnsberg und Degowskis Anwältin Lisa Grüter am Mittwoch nach einem 45-minütigen Anhörungstermin mit.

Die zuständige Strafvollstreckungskammer habe immerhin deutlich gemacht, "dass jetzt endlich die Entlassungsvorbereitung losgehen muss. Das dauert üblicherweise zwischen zwei und drei Jahren", sagte Grüter. Das Gericht bestätigte am Nachmittag, dass Degowski durch Lockerungen im Strafvollzug auf ein Leben in Freiheit vorbereitet werden soll. Dies sei mit Sicherheit ein mehrjähriger Prozess. Das Problem sei, dass Degowski in der Vergangenheit wenige Haftlockerungen erfahren habe, so der Gerichtssprecher.

Ihr Mandant sei schon "froh, dass er nun eine Chance auf Freiheit hat", sagte Anwältin Grüter. Seine Mindesthaftzeit hat er inzwischen verbüßt. Während Rösner als Kopf des Verbrechens gilt, wird Degowski als Mitläufer bezeichnet. Seit mehr als 20 Jahren verbüßt er seine Haft in der JVA Werl. Dort schloss er nach mehreren Anläufen eine Kochlehre ab und arbeitet als Hofreiniger. Als Gefangener soll er eher unauffällig sein.

Angehörige sprechen sich gegen Freilassung Degowskis aus

Der Termin findet kurz vor dem 25. Jahrestag des Gladbecker Geiseldramas statt, bei dem Degowski vom 16. bis 18. August 1988 zusammen mit seinem Komplizen Hans-Jürgen Rösner durch Deutschland und die Niederlande floh. Dabei starben drei Menschen, mehrere wurden verletzt. Das Verbrechen wirkt auch wegen des umstrittenen Verhaltens von Medien bis heute nach. Angehörige der Opfer haben sich gegen eine Freilassung Degowskis ausgesprochen.

Das Geiseldrama von Gladbeck - eine Chronik 

Drei Tage im August 1988 halten die Geiselnehmer Rösner und Degowski das Land in Atem. Vor aller Augen nehmen sie Geiseln, drohen, töten und wirken, aufgeputscht durch Medikamente und Alkohol, völlig unberechenbar. Der Mann, der später über sie urteilt, der Essener Richter Rudolf Esders, sagt heute: "Es gab taktische Fehler der Polizei. Aber es wäre zu gefährlich gewesen, die Geiselnehmer an der Flucht aus der Gladbecker Bank zu hindern, dort schon zuzugreifen".

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Essen, 25 Jahre nach dem Gladbecker Geiseldrama: Rudolf Esders (73) ist längst pensioniert, arbeitet seitdem als Rechtsanwalt in einer Kanzlei. Der Prozess um Hans-Jürgen Rösner und Dieter Degowski, die er nach 102 Verhandlungstagen zu lebenslanger Haft verurteilte, beschäftigt ihn bis heute. Und es gibt kaum jemanden, der die Details der Geiselnahme, das Vorgehen der Polizei wie auch das teilweise verheerend wirkende Verhalten der Journalisten so kennt wie er.

"Es war ein ungeheuerliches Verbrechen"

"Es war ein ungeheuerliches Verbrechen, begangen von zwei irrational handelnden Tätern", sagt Esders. Anders als viele, die nach dem desaströsen Verlauf der Geiselnahme vor allem die Polizei dafür verantwortlich machten, verteidigt Esders deren Vorgehen.

"Man hätte die beiden kaum an der Flucht aus der Bank hindern können. Degowski drohte, der Bankangestellten Blecker die Mündung des Revolvers in den Mund zu halten, hatte ihn entsichert. Und jeder, der solche Waffen kennt, weiß, dass man nur daran denken muss und schon geht ein Schuss los", erklärt Esders. Andrea Blecker sollte deshalb sogar ihre hochhackigen Schuhe ausziehen, damit sie auf dem Weg zum Fluchtwagen nicht stolperte und versehentlich einen Schuss auslöste.

Rösner und Degowski geben Interviews

Sie, die sich vor Angst, vor Todesangst, einmal in die Kassenbox verkriecht, würde endlose Stunden bis zum nächsten Abend in der Gewalt der Gangster verbringen müssen. Oft genug mit der Pistole am Kopf.

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Noch in der Bank klingelt ungezählte Male das Telefon, hat sich die Telefonnummer unter Journalisten herumgesprochen. Sie wagen den Anruf dort, sprechen mit Rösner und Degowski, verlangen sogar die Geiseln. Es sollte die öffentlichste Geiselnahme werden, die es je gegeben hat. Mit Interviews vor laufenden Kameras, mitten in Bremen, in der Kölner Fußgängerzone.

Silke Bischoff stirbt durch einen Schuss aus Rösners Waffe 

Als es am dritten Tag, am 18. August, auf der A 3 Richtung Frankfurt zum Zugriff des Spezialeinsatzkommandos kommt, stirbt die 18-jährige Bremer Geisel Silke Bischoff durch einen Schuss aus Rösners Waffe.

„Genau in dem Moment, als ein Polizeiwagen die Fahrertür rammen will, um Rösner gefechtsunfähig zu machen, fährt dieser nach einem Halt auf der Autobahn plötzlich los. Das Fahrzeug trifft deshalb nicht seine, sondern die hintere Tür. Rösner wird durch den Schuss aus einer Polizeiwaffe im Oberschenkel getroffen und ein Schuss löst sich, trifft Silke Bischoff“, sagt Esders.

Degowski habe eine frühkindliche Hirnschädigung

Rösner und Degowski seien unberechenbar gewesen, hätten gewusst, dass man sie identifiziert hatte, dass es für sie keine Chance gab. „Gerade für Rösner, der mit seinen Tattoos aussah wie eine wandelnde Tapete“, so der Anwalt. Dennoch hätten sie diesen Irrsinn veranstaltet. Rösner, sagt der frühere Richter, sei der intelligentere der beiden, der stärkere.

Degowski leide unter einer frühkindlichen Hirnschädigung, sei eher wenig intelligent und dissozial. Beide, so glaubt Esders, „werden wohl nie aus der Haft entlassen werden, es sei denn sie sind dement und pflegebedürftig.“ Dass Rösner seinen Richter schätzen gelernt hat, erfuhr Esders Jahre später. Als er sich 2004 als Anwalt niederließ, bat der Gladbecker (erfolglos), ihn zu vertreten: „Keiner kennt meinen Fall so wie Sie!“