Gladbeck. Direkt am Rathaus macht sich das Modegeschäft „Stil Vest“ einen Namen. Dabei hatte der Inhaber mit Mode erst gar nichts zu tun
Stephan Ignatzy blickt stolz durch seine Boutique „Stil Vest“ direkt am Gladbecker Rathaus – zumindest auf die eine Hälfte, die aktuell begehbar ist. „Im Februar gab es im Gebäude einen Wasserschaden, deshalb kann ich einen Teil meiner Ladenfläche zurzeit leider nicht nutzen“, berichtet der Inhaber. Das sonore Summen der Lufttrockner begleitet den Arbeitstag seiner Angestellten vor Ort wohl noch bis Juni. Der Schaden sei teuer, so Ignatzy, aber man könne es nicht ändern. „Und wegen der Baustelle sind Sie ja auch nicht hier“, fügt er lachend hinzu.
Viel lieber möchte Ignatzy über seine Boutique sprechen. Der 55-Jährige hat einiges zu erzählen. Sowohl er als auch sein Geschäft blicken auf eine wechselhafte Zeit zurück. Ignatzy war als Investmentbanker auf der ganzen Welt unterwegs. 2013 folgte der Tapetenwechsel, als er zwei Filialen des Boutiquen-Franchise „Peacock“ übernahm. „Ich hatte Lust auf was Neues und bin über einen Bekannten mit dem Inhaber von Peacock in Kontakt gekommen“, erzählt der Weltenbummler, der zuvor unter anderem in Frankfurt, London und New York lebte und jährlich zum Kitesurfen nach Brasilien reist. Und warum gerade Gladbeck und Dorsten? „Ich bin hier um die Ecke in Kirchhellen geboren“, erzählt er, „und mein Vater war Studiendirektor am Gladbecker Ratsgymnasium. Der Bezug zur Region war also schon immer da.“ Heute wohnt Ignatzy in Düsseldorf. Im Elternhaus in Kirchhellen übernachtet er, wenn er wöchentlich in seinen Läden nach dem Rechten schaut.
Ignatzy führt Peacock-Tradition in Gladbeck fort
In seinen über zehn Jahren als Boutiquen-Inhaber hat Ignatzy schon einiges erlebt. Bis 2019 lief alles rund, dann ging das Franchise Peacock insolvent. „Individuelle Fehler des Inhabers führten dazu“, ist sich Ignatzy sicher. Vom eigentlichen Konzept der Boutique, sich nicht auf wenige Marken zu beschränken, sondern ein breites Sortiment an Waren und Stilen anzubieten, war der ehemalige Banker weiter überzeugt. Deshalb hielt er an seinen Geschäften, trotz aller Widrigkeiten, fest und gründete Stil Vest.
Doch der Beginn war holprig. „Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Geschäften waren aufgrund der Insolvenz verständlicherweise nervös.“ Um drohenden Kündigungen zuvorzukommen, ging Ignatzy ins Risiko. „Ich hatte damals meinem Team versichert, dass ich die Läden weiterführen möchte und garantierte ihnen, die Löhne weiterzuzahlen. Notfalls aus eigener Tasche“, so der Inhaber. Und tatsächlich, alle Mitarbeiter blieben.
Finanzerfahrung ebnet den Weg für Stil Vest
Danach begann die Umstrukturierung, Ignatzys liebste Aufgabe. „Struki“ wurde er früher als Banker genannt, weil er ein Struktur-Nerd sei, erzählt er. Ignatzy arbeitete sich in die Geschäftsprozesse hinein und entdeckte die Fehler des Vorgängers Peacock. Er wollte es besser machen. Bis zu 80 Stunden pro Woche hätte er damals gearbeitet. Aber es lohnte sich, viele fast schon abgesprungene Warenzulieferer konnte Ignatzy überzeugen, mit ihm weiterzumachen. „Hilfreich war dabei sicherlich meine Erfahrung bei der Bank“, sagt er. Eine Mitarbeiterin aus seinem Team beförderte er zur Einkaufsleiterin. Die internen Abläufe wurden vollständig digitalisiert, sodass er von überall auf die Prozesse zugreifen kann. Die Veränderungen zeigten Wirkung. „Schon nach drei Monaten warfen die Läden positive Renditen ab“, sagt Ignatzy stolz.
Da der Einkauf von seiner Kollegin geleitet wird, kann sich „Struki“ ganz auf die Zahlen konzentrieren. Er sei pragmatisch, meint er. Einen Online-Handel seiner Ware sei zu unrentabel. „Deshalb machen wir so etwas nicht. Wir setzen vollständig auf den Verkauf vor Ort“, so Ignatzy. Auch Männer-Mode habe er aus seinen Läden gestrichen, da der Absatz zu gering gewesen sei. Ein Lager? „Zu teuer, unser Lager ist die Boutique.“
Die Geschäfte laufen
Die Aufschwungphase von Stil Vest wurde 2020 durch die Corona-Pandemie gebremst. Um weiterhin flüssig zu bleiben, begann der Inhaber als zweites Standbein mit einem Bekannten Plastik-Visiere zu vermarkten. „Wir waren Marktführer in Deutschland“, berichtet er. Das Nebengeschäft sicherte ihn und seine Boutiquen finanziell ab.
Nun, drei Jahre später, erinnert kaum noch etwas an den holprigen Start ins Unternehmertum. Die Stil Vest-Filialen laufen. „Wir machen aktuell einen Umsatz wie 2016 zu besten Peacock-Zeiten“, erzählt Ignatzy. Und das trotz Corona-Nachwehen, Lieferschwierigkeiten und gestiegener Kosten. Sein Ladenkonzept kommt an.
Blick in die Innenstadt
Die Gladbecker Innenstadt hat ihre Probleme, das ist bekannt. Gleichzeitig gibt es aber auch viele Geschäfte, die hier die Fahne hochhalten und ihren Teil dazu beitragen, dass die City trotz allem nicht tot ist – wie manchmal pauschal behauptet wird.
In loser Folge will die Lokalredaktion deshalb Fachgeschäfte und inhabergeführte Läden aus der Gladbecker Innenstadt vorstellen und die Geschäftsleute zu Wort kommen lassen.
Die Boutiquen sind für den Mainstream der Damenmode gedacht und auch wer sparsamer leben muss, der wird hier fündig. „Wir haben von allem etwas und sortieren die Ware nach Stilen und Farben. Sie finden hier lockere Freizeitmode, aber auch hochwertige Abendkleider“, sagt Ignatzy. Modelabels werden nicht überrepräsentiert, was auch mal zu Unstimmigkeiten mit den Lieferanten führen kann. Aber die Zahlen sprächen für sich, so der Inhaber.
Name der Boutique als Wortspiel
Regelmäßige Events fördern bei Stil Vest das Einkaufserlebnis und ziehen neue Kunden an. Marketing wird vor allem über Instagram und Facebook betrieben. Und natürlich ist auch die Lage in Gladbeck vorteilhaft. „Wir liegen hier am Tor zur Innenstadt und haben eine große Fensterfront“, sagt Ignatzy. Bleibt nur noch die Frage zum Namen. Das sei ein Wortspiel. „Vest ist hier in der Region Recklinghausen ein geläufiger Begriff, man kann es aber auch als ‚Fest‘ oder ‚West‘ aussprechen“, erklärt der Inhaber. Da könne sich jeder die Bedeutung aussuchen.
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