Gladbeck. Marc Neugröschel ist Jerusalemer Holocaust-Pädagoge und Antisemitismus-Experte. In der VHS Gladbeck sprach er über 2000 Jahre Judenfeindlichkeit.

Volles Haus in der Volkshochschule (VHS) Gladbeck: Rund 40 Gäste sind gekommen, um den Vortrag des Antisemitismusforschers und Holocaustpädagogen an der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem, Marc Neugröschel, zu hören. Der hatte sich für den Abend einiges vorgenommen: 2000 Jahre „Antisemitismus, Antizionismus, Antijudaismus“. Was folgte, war ein zweistündiger, prall mit Inhalten gefüllter Abend, den der Gladbecker Verein Denk dran in Kooperation mit der VHS möglich gemacht hat.

Zum Einstieg zitierte Neugröschel die Fachkollegin Monika Schwarz-Friesel, die den über Jahrhunderte sich stetig wandelnden, im Kern aber gleich bleibenden Antisemitismus mit einem Chamäleon vergleicht. Für Neugröschel ist „Antisemitismus eine Ideologie, eine Schablone der Weltinterpretation“. Dadurch unterscheide er sich kategorisch von Rassismen aller Art, eine Unterscheidung, zu der der der Wissenschaftler im Laufe des Abends immer wieder zurückkehrte.

Neuerdings sollen Juden für den sogenannten Bevölkerungsaustausch verantwortlich sein

Während im Rassismus die Ausbeutung und Unterdrückung von Bevölkerungsgruppen legitimiert werde, ziele Antisemitismus vielmehr darauf, Verantwortliche für selbst erlebte Unterdrückung und Ausbeutung ausfindig zu machen. Antisemitische Narrative sähen wahlweise in den Juden/dem Staat Israel/der zionistischen Weltverschwörung und so weiter die Urheber allen möglichen Unheils in der Welt: der Übermacht von Banken, des Ausbruch der Corona-Pandemie oder des sogenannten Bevölkerungsaustausches.

Insbesondere diese Mär der Neuen Rechten, die hinter globalen Migrationsbewegungen eine Verschwörung mit dem Ziel der Ersetzung christlich-weißer Mehrheitsgesellschaften erkennen will, machte Neugröschels Unterscheidung allzu deutlich: Hier die mit reichlich Ressentiment bedachten Einwanderer, da die leidenschaftlich gehassten Strippenzieher.

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Während der erste Teil seines Vortrags auf Antisemitismus in seinen schillernden Ausprägungen heutzutage abstellte, begab sich Neugröschel im zweiten Teil zu einem – bei der gebotenen Kürze der Zeit – notwendig anekdotischen Ritt durch 2000 Jahre Antisemitismus: von den christlichen Ursprüngen im Römischen Reich über mittelalterliche Schmähschriften bis zu den Verschwörungstheorien des frühen 20. Jahrhunderts.

Antisemiten erzählen seit 2000 Jahren immer wieder die gleichen Geschichten

Bei zahlreichen, frappierenden Gegenüberstellungen, etwa eines antiken Pamphlets des Johannes von Antiochia aus dem vierten Jahrhundert mit Wahlpropaganda aus der Zeit der Weimarer Republik, wurde deutlich, wie sehr antisemitische Darstellungen jüngeren Datums aus dem historisch gewachsenen Repertoire judenfeindlicher Zuschreibungen schöpfen. Nicht immer passiere das bewusst.

„Es fehlt an der Bereitschaft, Antisemitismus als solchen anzuerkennen.“
Marc Neugröschel

„Antisemiten selbst sehen sich nicht als Diskriminierende“, so Neugröschel, sie sähen sich vielmehr im Recht: als selbsternannte Ankläger oder Befreier von Unterdrückten. In den Augen des Wissenschaftlers und Holocaust-Pädagogen eine Maskerade, die leider auch weite Teile der hiesigen Bevölkerung nicht durchschauten. „Es fehlt an der Bereitschaft, Antisemitismus als solchen anzuerkennen.“ Da hilft nur Aufklärung: Wer das Chamäleon enttarnen will, muss es nur ins richtige Licht stellen.