Gladbeck. Zuerst die EKD, nun der Ev. Kirchenkreis, zu dem Gladbeck gehört: Superintendent spricht über Fälle sexualisierter Gewalt, richtet sich an Opfer.

Einen Tag nach der Vorstellung der von der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD) in Auftrag gegebenen Missbrauchsstudie geht auch der Evangelische Kirchenkreis Gladbeck-Bottrop-Dorsten den Weg an die Öffentlichkeit. Superintendent Steffen Riesenberg spricht am Freitag in der Gladbecker Christuskirche von drei Fällen sexualisierter Gewalt. Taten, begangen in Gemeinden in Gladbeck, Bottrop oder Dorsten? Dazu gibt es keine weiteren Auskünfte. Man wolle die teilweise zur Tatzeit noch minderjährigen Opfer schützen, begründete der Superintendent die Entscheidung der Bekanntgabe in „grob anonymisierter Form“. Zudem seien zwei der Täter rechtskräftig verurteilt worden, auch deren Persönlichkeitsrechte gelte es zu schützen. Was aber bekannt gemacht wird:

Fälle aus dem Kirchenkreis sind nicht Bestandteil der Studie

Alle drei Fälle, erklärte Riesenberg, seien nicht Teil der nun vorgelegten Studie. Vielmehr handele es sich um ältere Taten, die auch bereits bekannt waren, und an die nun aus den Reihen des Kirchenkreises selbst erneut erinnert worden sei. „Diese Fälle sind uns nicht von Betroffenen gemeldet worden.“

Superintendent Steffen Riesenberg (Mitte) informierte gemeinsam mit Präventionsfachkraft Gitta Werring (von links), Pfarrer Frank Großer, Vorsitzender des Presbyteriums der Ev.-Luth. Kirche Gladbeck, Pfarrer Michael Hoffmann, stv. Vorsitzender des Presbyteriums der Ev. Kirchengemeinde Bottrop und Pfarrer Dr. Andreas Deppermann, Vorsitzender des Verbandes Ev. Kirchengemeinden in Dorsten über die Fälle aus dem Kirchenkreis.


 
Superintendent Steffen Riesenberg (Mitte) informierte gemeinsam mit Präventionsfachkraft Gitta Werring (von links), Pfarrer Frank Großer, Vorsitzender des Presbyteriums der Ev.-Luth. Kirche Gladbeck, Pfarrer Michael Hoffmann, stv. Vorsitzender des Presbyteriums der Ev. Kirchengemeinde Bottrop und Pfarrer Dr. Andreas Deppermann, Vorsitzender des Verbandes Ev. Kirchengemeinden in Dorsten über die Fälle aus dem Kirchenkreis.   © WAZ | Jörg Eilts/Ev. Kirchenkreis

Im Pressegespräch fand auch der Superintendent deutliche Worte, äußerte große Betroffenheit über das, was da nun in der Studie offengelegt worden sei. „Vertuschen, Beschönigen und Verdrängen“, das seien Mechanismen auch in der evangelischen Kirche, die Missbrauchsfälle erst ermöglicht hätten. Ebenso die Tatsache, dass oft der Schutz der Täter wichtiger gewesen sei als alles andere. Riesenberg: „Wir müssen die Strukturen in der Kirche ändern!“

Zu den Fällen:

  • In den 1970er Jahren ist ein im Kirchenkreis nebenamtlich beschäftigter Kirchenmusiker wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden. Als die Ermittlungen gegen ihn bekannt wurden, habe der Mann gekündigt. Nach Entlassung aus der Haft habe er zwar weiter im Kirchenkreis gewohnt, aber nicht mehr in einer der dortigen Gemeinden gearbeitet. Mittlerweile ist der Täter gestorben.
  • Auch im zweiten Fall geht es um einen Kirchenmusiker – in den Nullerjahren Jahren verurteilt zu einer Bewährungsstrafe wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen. „Die Tat“, heißt es in der Stellungnahme des Kirchenkreises, „hat sich während des vom Täter privat angebotenen Musikunterrichts, allerdings in gemeindlichen Räumen, ereignet.“ Auch diesem Mann sei gekündigt, ein Hausverbot ausgesprochen worden.
  • Fall drei: Ebenfalls in den Nullerjahren hatte ein ehrenamtlicher Mitarbeiter einer Frau, auch sie war damals ehrenamtlich für die Gemeinde tätig, an die Brust gefasst. Tatort: ein Gemeindehaus. Beide Personen waren zum Tatzeitpunkt volljährig. Die Frau verzichtete auf eine Strafanzeige, der Mann erhielt Hausverbot.
  • Zwei Altfälle aus dem Bereich der Diakonie mit zwei Tätern sowie zwei Betroffenen, wurden ebenfalls noch genannt. Alle Personen seien bereits verstorben.
Es würde mich wundern, wenn das alles wäre
Steffen Riesenberg - Superintendent Ev. Kirchenkreis Gladbeck-Bottrop-Dorsten

2225 Opfer und 1295 mutmaßliche Täter, die die Studie deutschlandweit benennt. Dazu eine Dunkelziffer an Fällen in vollkommen unbekannter Höhe. Und dann „nur“ diese Taten im Evangelischen Kirchenkreis Gladbeck-Bottrop-Dorsten? Der Superintendent fand auch dazu deutliche Worte: „Es würde mich schwer erstaunen, wenn das alles wäre.“ Weitere Täter in den Kirchen, den Gemeinden, den Kitas. . . . Riesenberg kann und will das nicht ausschließen. Er betont aber auch, dass es aktuell keine erhärteten Verdachtsfälle gebe.

Noch mehr Kirchenaustritte als Folge

Ansprechpartner für Opfer

Wem sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche widerfahren ist, der kann sich an die Zentrale Anlaufstelle von Kirche und Diakonie wenden: anlaufstelle.help oder 0800/ 5040 112. Die kostenlose Beratung ist unabhängig, anonym und unterliegt der Schweigepflicht.

Eine weitere Ansprechstelle: die Präventionsfachstelle des Ev. Kirchenkreises Gladbeck-Bottrop-Dorsten, gitta.werring@ekvw.de oder telefonisch 02041/ 3170 30.

Schon die Missbrauchsstudie der katholischen Kirche hat bei der evangelischen Kirche zu einem Vertrauensverlust vieler Gläubiger geführt, auch Kirchenaustritte zur Folge gehabt. Dass die nun vorliegende Untersuchung der EKD eine ähnliche negative Wirkung haben wird, kann und will auch Pfarrer Frank Großer, Vorsitzender des Presbyteriums der Ev.-Luth. Kirchengemeine Gladbeck, nicht ausschließen. „Wir müssen besser werden, transparenter.“ Und der Superintendent ergänzt im Hinblick auf die in kirchlichen Institutionen und Kreisen betreuten Kinder und Jugendlichen: „Die Eltern haben das Recht, uns alle Fragen zu stellen!“

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Von den Opfern, so Steffen Riesenberg weiter, „haben wir nichts zu erbitten“. Dennoch hege man die Hoffnung, dass Betroffene den Kontakt zur Kirche suchen. Dafür seien professionelle Ansprechstellen für Opfer sexualisierter Gewalt im Bereich der evangelischen Kirche geschaffen worden (siehe Infokasten). Gitta Werring, für die Präventionsarbeit im Kirchenkreis zuständig, wies darauf hin, was in diesem Bereich bereits geleistet werde – ohne zu verschweigen, wie viel Arbeit auch noch vor der Kirche liege.