Gladbeck. Der Vertuschung von Missbrauchsfällen in Institutionen und Gemeindearbeit der Ev. Kirche soll vorgebeugt werden. Das ist in Gladbeck geplant.
Missbrauchsfälle im Bereich der katholischen wie evangelischen Kirche haben in den vergangenen Jahren für viel Aufsehen und Empörung gesorgt, da Straftaten nicht ausreichend verfolgt wurden. Die Evangelische Kirche von Westfalen hat als Konsequenz das Kirchengesetz zum Schutz vor sexualisierter Gewalt verabschiedet, das seit März 2021 in Kraft ist. In jeder Kirchengemeinde, also auch in Gladbeck, müssen auf dieser Grundlage bis spätestens Sommer 2024 Schulungen für alle hauptamtlich wie ehrenamtlich Mitarbeitende erfolgen- Es muss ein Schutzkonzept entwickelt werden, das verbindlich gilt. So weit ist der Prozess in Gladbeck.
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„Wir haben eine Arbeitsgruppe gegründet mit Angehörigen aus allen großen Tätigkeitsbereichen, etwa Kindertagesstätten, Offenem Ganztag, Gemeinde- und Jugendarbeit“, berichtet Tanja Krakau, Geschäftsführerin der Ev. Kirche in Gladbeck. Ein weiterer Schritt sei nun, „für alle Arbeitsbereiche Analysen zur Gefahrenbeurteilung durchzuführen, um damit dann Maßnahmen und Konzepte zu entwickeln. Mit dem Ziel, einen größtmöglichen Schutz vor sexualisierter Gewalt in allen Tätigkeitsbereichen zu ermöglichen“.
Arbeitsgruppe der Ev. Kirche in Gladbeck trifft sich monatlich zum Thema
Einmal pro Monat tagen die Mitglieder der Gladbecker Arbeitsgruppe. Im November sei geplant, die AG-Mitglieder zum Thema Gefährdungsbeurteilung zu schulen. „Die dann als Multiplikatoren auch in die Gemeindebereiche hineinwirken“, so Tanja Krakau. Die Schulungen erfolgen über den Kirchenkreis. Zentral zuständig im Bereich des Superintendenten ist dafür Diplom-Pädagogin Gitta Werring, die als Präventionsfachkraft Ansprechpartnerin für das Thema innerhalb der neuen Fachstelle zum Schutz vor sexualisierter Gewalt im Ev. Kirchenkreis Gladbeck-Bottrop-Dorsten ist (Telefon: 02041 31 70 30, Mail: gitta.werring@ekvw.de).
Sie unterstützt die Gemeinden dabei, passgenaue Schutzkonzepte vor sexualisierter Gewalt zu entwickeln. Indem klare Regeln zum Umgang miteinander festgelegt werden, die sowohl Prävention in sensiblen Bereichen, den Umgang mit Opfern und die Intervention gegen Tatverdächtige, aber auch Rehabilitation betreffen, falls jemand unschuldig in Verdacht geraten sein sollte. Gitta Werring ist auch verantwortlich, Meldungen über sexualisierte Gewalt aus dem Kirchenkreis entgegenzunehmen und dafür zu sorgen, dass diese bearbeitet und notwendige Maßnahmen veranlasst werden. Wenn nötig, also auch die Strafbehörden einzuschalten.
Dem Superintendenten sind keine Fälle sexualisierter Gewalt im Kirchenkreis bekannt
Superintendent Steffen Riesenberg hatte jetzt in sein Büro an der Humboldtstraße in Gladbeck eingeladen, um zum Thema zu berichten. Er informiert zunächst, dass in jüngerer Zeit keine Fälle sexualisierter Gewalt aus den Gemeinden gemeldet wurden und der Superintendentur auch nicht bekannt sei, „dass es einen Vorfall in der Vergangenheit gegeben hat“. Aber um auch über die Kreis- und Stadtgrenzen hinaus mehr Sicherheit zu haben, dass nichts aus der Vergangenheit vorliegt, was etwa eine Zusammenarbeit mit Kindern verbieten würde, sind alle auch ehrenamtlich Mitarbeitenden (ab 14 Jahren) verpflichtet, ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorzulegen. Das betreffe selbstverständlich auch die Führungseben, ihn selbst eingeschlossen, unterstreicht Superintendent Riesenberg, denn man wolle einer Vertuschungskultur entgegenwirken.
Würde und sexuelle Selbstbestimmung
Nach dem Kirchengesetz ist sexualisierte Gewalt, wenn ein unerwünschtes sexuell bestimmtes Verhalten bezweckt wird oder bewirkt, dass die Würde und die sexuelle Selbstbestimmung der betroffenen Person verletzt und wenn dabei bewusst Macht ausgeübt wird. Dies betreffe auch schon grenzüberschreitendes Verhalten, unterstreicht Steffen Riesenberg. Etwa, wenn Intimgrenzen überschritten, und unerwünscht zu große Nähe von Leitungspersonen in Gemeinde- oder Jugendarbeit hergestellt werde.
Undenkbar sei heute, dass Betreuer gemeinsam mit Kindern duschen, was in den 1990er Jahren durchaus noch üblich gewesen sei. Der Superintendent nennt als weiteres Beispiel ein Spiel, das in Jugendfreizeiten häufig gespielt worden sei: Die Kleiderkette. Dort treten zwei Gruppen gegeneinander an, ziehen so viel ihrer Kleidung wie möglich aus, um diese aneinander zu legen und mit der längsten Kette zu gewinnen. Dabei hätten Mädchen auch ihren BH abgelegt.
Ein weiterer wichtiger Baustein sei das Beschwerdemanagement, so Gitta Werring. An wen kann ich mich im Bedarfsfall wenden? Dafür gebe es ein klares Interventionsschema und einen Handlungsleitfaden mit einem standardisierten Verfahren. Etwa, wie weiter behutsam mit den Betroffenen umgegangen wird und auch mit verdächtigten Tätern, und wann eine Meldung an die Landeskirche erfolgen muss, die dann auch weiter unterstützt, oder wann die Strafbehörden einzuschalten sind. Dazu seien Schulungen/Fortbildungen für alle Mitarbeitenden vorgesehen, in verschiedener Intensität, je nach Aufgabenfeld. Denn jeder von sexualisierter Gewalt Betroffene solle die Möglichkeit haben, sich seine Vertrauensperson als erste Anlaufstelle selbst aussuchen zu können, was somit jeden Mitarbeitenden betreffen könne, der dann wissen müsse, was zu tun ist.
Die ersten Schulungen sind vor den Sommerferien gestartet
„Die Schulungen betreffen mehr als 1500 Menschen im Kirchenkreis, davon 180 hauptamtliche und etwa 200 Ehrenamtliche in Gladbeck“, so Superintendent Riesenberg. Vor den Sommerferien seien die ersten Runden gestartet, wobei zunächst die Führungsebene fortgebildet wurde sowie die Presbyterien, die dann vor Ort weiter planen könnten, wie es in den Gemeinden weitergeht. Dabei gehe es schon ganz grundsätzlich darum, festzuhalten, welche Kultur der Wertschätzung implementiert werde soll. Dazu werde mit den Mitarbeitenden ein Verhaltenskodex entwickelt, der für alle sichtbar ausgehängt werde und in eine Selbstverpflichtungserklärung münde, die alle Beschäftigten unterschreiben. In Gladbeck sollen die Schutzkonzepte „Ende 2023 fertig sein, um dann 2024 in die Umsetzung zu gehen“, so Tanja Krakau.
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Wichtig zu wissen: Jeder, der Kenntnis von einem Verdacht sexueller Gewalt erhält, ist zum Handeln verpflichtet. Superintendent Riesenberg: „Wenn Mitarbeitende der Meldepflicht bei einem begründeten Verdacht nicht nachkommen, und dies im Nachhinein bekannt wird, dann wird nach dem Kirchenrecht verfahren.“ Arbeitsrechtliche Konsequenzen seien dann zu erwarten, „die von der Abmahnung bis zur Kündigung reichen können“.