Gladbeck/Bottrop. Aus der Köttelbecke ist ein sauberer Bach geworden. Zwischen Gladbeck und Bottrop ist ein neues Naherholungsgebiet entstanden. Ein Mammutprojekt.
„Das ist ein wunderbares Beispiel, was für eine Landschaft aus einer ehemaligen Köttelbecke entstehen kann.“ Besser als Harry Tiedtke, der verantwortliche Projektleiter für die Renaturierung der Boye, kann man es kaum ausdrücken. Schaut man sich den Grenzfluss zwischen Gladbeck und Bottrop nun an, erinnert so gut wie nichts mehr an das graue Gewässer, dass in seinem Betonbett auf dem direkten Wege zur Kläranlage gerauscht ist – verbunden mit den entsprechenden Gerüchen.
Heute ist die Renaturierung – die Fachleute der Emschergenossenschaft (EG) sprechen von der „ökologischen Verbesserung“ – abgeschlossen – und damit ein weiterer Meilenstein des Umbaus des gesamten Emschersystems. Zwischen den beiden Städten ist quasi ein kleines Naherholungsgebiet entstanden. Die Boye schlängelt sich durch ihr neues Bett. Seit dem Sommer sind auch die Wirtschaftswege entlang des Flusses geöffnet. Um acht Kilometer ist so das schon jetzt beträchtliche Netz an Rad- und Fußwegen, das der Abwasserverband mittlerweile unterhält, gewachsen. Wer mag, kann jetzt von der Mündung des Vorthbaches auf Bottroper Gebiet bis zum Pumpwerk Boye wandern oder radeln und hat zwischendurch Anschluss an andere Wege. Zusätzlich wurden auch zwei Brücken gebaut.
50 Millionen Euro hat die Renaturierung der Boye gekostet
2018 hat die Emschergenossenschaft mit der Umsetzung der Boye-Revitalisierung begonnen. 50 Millionen Euro hat der Verband investiert. Ein Großteil der Baustelle ist gar nicht mehr sichtbar. Denn bevor sich die Natur den oberirdischen Raum zurückholen kann, musste unterirdisch Platz fürs Abwasser geschaffen werden. Schließlich transportiert die Boye Abwasser aus Teilen Bottrops und aus Gladbeck gen Klärwerk und Emscher. Dieses Abwasser ist ja nicht plötzlich verschwunden. Es fließt nun unterirdisch durch den großen Abwasserkanal Boye.
Bis zu 3,5 Meter beträgt der Durchmesser dieses gigantischen Rohres. Drei Rückstau- und Beruhigungsbecken hat die Emschergenossenschaft auf dem Stück erstellt. Bei starken Regenfällen sammelt sich hier das Abwasser, beruhigt sich und kann im Bedarfsfall – stark verdünnt – überlaufen und in die oberirdische Boye abfließen. Rechen verhindern, dass grobe Schmutzpartikel mit in die renaturierte Boye fließen. Etwa 15 bis 20 Mal im Jahr komme so etwas vor, sagt Frank Obenaus, Technischer Vorstand der EG.
Verlauf der Boye wurde an einer Stelle auf das Gladbecker Stadtgebiet verlegt
Die Boye ist eines der größten Nebenlaufgebiete der Emscher. Mit Hahnenbach, Nattbach, Wittringer Mühlenbach und Haarbach fließen aus Gladbeck vier Bäche in den Unterlauf der Boye. In Bottrop münden Vorthbach, Kirchschemmsbach und Liesenfeldbach in diesen Bereich. Entsprechend viel Wasser fließt auch in dem neuen Bach, der sich aus der Quelle, den Nebenflüssen, dem Grund- und dem Regenwasser speist. Anders als bei anderen Gewässern des Emschersystems drohe die Boye nicht auszutrocknen, heißt es.
Wer die neuen Wege nutzt, dem fällt auf, dass die Böschungen flacher gestaltet wurden. An einigen Stellen schlägt der Fluss sogar wieder seine natürlichen Kurven, wurde dafür teilweise sogar verlegt, so dass er nun ein Stück auf Gladbecker Stadtgebiet fließt und dort eben nicht mehr die Grenze zwischen den beiden Städten bildet. So entstand am Pelkumer Feld fast eine Art Auenlandschaft.
Renaturierung im Ballungsgebiet ist immer auch mit Kompromissen verbunden
Das größte Kompliment für die Verantwortlichen? „Eigentlich, wenn die Bürgerinnen und Bürger sagen, man sieht gar nicht, dass ihr hier gearbeitet habt“, antwortet Harry Tiedtke. Das sei nämlich ein Zeichen dafür, dass sich die Natur den Raum zurückerobert habe. Klar ist aber auch: An allen Stellen gelingt das nicht. In einem so eng besiedelten Raum mit Industrie und Straße müsse man bei so einem Projekt auch Kompromisse machen, sagen die Verantwortlichen. Bestehende Brücken etwa sind solche Engpässe, an einer Stelle habe man zum Schutz des Flusses auch eine Spundwand setzen müssen, erläutert Tiedtke, wie solche Kompromisse aussehen müssen.
Und in all den Jahren hat die Emschergenossenschaft auch ihre Erfahrungen gemacht. Ganz zu Anfang am Kirchschemmsbach in Bottrop habe man Hunderte Bäume gepflanzt, erläutert Tiedtke. „Das machen wir heute gar nicht mehr.“ Und zwar aus einem guten Grund: „Die Natur ist viel schneller als wir“, sagt der Projektleiter mit Blick auf das Grün entlang der Boye.
Mehr Lebensqualität für die Bürgerinnen und Bürger in Gladbeck und Bottrop
Gladbecks Bürgermeisterin lobt, dass hier etwas „ganz Tolles“ entstanden sei. Gerade eine so dicht besiedelte Stadt wie Gladbeck brauche Naherholungsgebiete, da sei die renaturierte Boye ein echter Gewinn. Aus Gesprächen mit Bürgerinnen und Bürgern wisse sie auch, dass dieser Mehrwert in Brauck auch gesehen werden. Ihr Amtskollege aus Bottrop, Bernd Tischler, hebt den Gewinn an Lebens-, aber auch ökologischer Qualität an dieser Stelle hervor.
An den Ufern der Boye, so Uli Paetzel, Vorstandsvorsitzender der Emschergenossenschaft, lasse sich unschwer erkennen: „Die Natur erobert sich den Fluss zurück. Flora und Fauna erholen sich von den Strapazen der Industrialisierung und kehren vielfältig zurück.“
Fluss als Forschungsobjekt
Seit 2021 ist die Boye auch Forschungsobjekt. Sie ist Schauplatz eines Sonderforschungsbereichs, koordiniert von der Universität Duisburg-Essen. Bis zu 20 Doktoranden sind an dem auf zwölf Jahre angelegten Projekt beteiligt. Ziel ist es, zu beobachten wie sich ein solches renaturiertes Gewässer dann weiter entwickelt.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert das Projekt mit 12,3 Millionen Euro. Die Renaturierung der Emscher und ihrer Nebenläufe biete den Forschern ideale Bedingungen, um zu beobachten wie sich gestresste Ökosysteme wieder erholen können, so die Überzeugung der Verantwortlichen.