Gladbeck. Füchse, Bisam und Reiher breiten sich in bebauten Gebieten aus. Grund für diesen Trend: günstige Lebensbedingungen für viele Arten.
Längst passé sind die Zeiten, in denen der Mensch in die freie Natur gehen musste, um Wildtiere dort beobachten zu können, wo sich Fuchs und Has' "Gute Nacht" sagen. Manchmal genügen heutzutage nur ein paar Schritte vor die Haustür, um sie zu Gesicht zu bekommen: Rehe, Reiher, ja sogar Biber... Dieser "Umzug" aus Wald und Flur hat mehrere Gründe, weiß Gerd Tersluisen vom Hegering Gladbeck zu berichten.
"Nutria und Bisam findet man mittlerweile an allen Teichen in Gladbeck. Beide sind reine Pflanzenfresser", stellt der Fachmann fest, "besonders die Nutrias, die aus Süd-Amerika stammen, profitieren vom Klimawandel." Bereits in den 1950er Jahren habe es hierzulande überlebensfähige Populationen dieser Tiere sowie von Waschbär und Bisam gegeben. Doch erst in den 1970er Jahren seien „Tierbefreier“ durch die gesamte Bundesrepublik gefahren. Tersluisen: "Sie zerstörten die Zuchtgatter in nahezu allen Pelztierfarmen. Erst dadurch kamen die dort gehaltenen Tiere flächendeckend frei."
Gladbeck: Füchse fühlen sich auf Friedhöfen und Sportplätzen wohl
Alle Lebewesen ziehen dorthin, wo sie genügend Nahrung finden. Ein Beispiel dafür ist der Fuchs. "Nahrungsopportunist" nennt ihn Tersluisen. Füchse fressen so ziemlich alles, was ihnen vor die Schnauze kommt. Daher sind sie auf Friedhöfen, Sportplätzen, Schulhöfen und Müllkippen sowie in Freibädern und sogar mitten in der Stadt beinahe ein vertrauter Anblick. "Es liegt nicht daran, dass ihr natürlicher Lebensraum zerstört wurde. Die einwandernden Tiere suchen nur den leichtesten Weg des Lebens für sich und ihre Nachkommen", erläutert Tersluisen. Und fügt mit einem Augenzwinkern hinzu: "Kennen wir das nicht auch? Stichwort: Landflucht. Ewa 80 Prozent unserer Bevölkerung leben mittlerweile in der Stadt." Die Population der Stadtfüchse sei inzwischen um ein Vielfaches größer als die der Waldfüchse.
Von den tierischen Vierbeinern zu den Zweibeinern. Aus ihrem ursprünglichen Verbreitungsgebiet Nordamerika eingewandert ist die Kanadagans, deren Präsenz - vor allem ihre Hinterlassenschaft - in Gladbecks Grünanlagen, beispielsweise in Wittringen, die menschlichen Gemüter erhitzt. "Sie ist wie der Fuchs und die Nilgans, Waschbär und Nutria auf dem Vormarsch", konstatiert Tersluisen. Und zwar bereits seit den 1970er Jahren, als sie in Essen ein Hegeringleiter an der Ruhr ausgesetzt habe.
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Wander- und Baumfalken seien gerade hier im Ruhrgebiet heimisch. Der Baumfalke lebt in den ländlichen Stadtrandgebieten. Aber: "Ich beobachte seit fünf Jahren in Gladbeck keinen Baumfalken mehr." Da ist die Chance, einen seiner "Verwandten" zu sichten, schon größer. Denn hier, im Kreis Recklinghausen, existiere die größte Dichte von Wanderfalken. Der Experte kennt den Grund: "Er liebt die Schornsteine und hohe Industriegebäude im Ruhrgebiet." Dank dieser "künstlichen Felsen", die ihm einen guten Überblick und einen ungestörten Horst bieten, herrschen für ihn in diesen Gefilden paradiesische Verhältnisse. Obendrein fliegen ihm die Leckerbissen geradezu in den Schnabel: Ringel- und Haustauben. "Dem Uhu geht es ebenso. Die Singdrossel, noch vor wenigen Jahren ein reiner Waldvogel, zieht es ebenfalls in die Stadt", sagt Tersluisen. Dort finde sie kurz gemähte Rasenflächen, die im Sommer stets gewässert werden und in denen reichlich Regenwürmer stecken.
Aus Waldbewohnern sind längst Stadtvögel geworden
Ein Vogel, bei dem längst seine Vergangenheit als ausgesprochener Waldvogel in Vergessenheit geraten ist: die Amsel. Noch vor 100 Jahren war sie dort in der freien Natur zuhause. Tersluisen hat beobachtet: "Nunmehr ist sie im Wald so gut wie nicht mehr zu finden."
Umgekehrt eine Rarität ist die Turteltaube. Der Hegering-Fachmann erzählt: "Ich habe sie mehr als zwei Jahre in Rentforter Gärten beobachten können. Sie haben auch gebrütet: Einen Bruterfolg konnte ich allerdings nicht beobachten. Diese schöne Taube gehört zu den sehr seltenen Vögeln, die man in Städten noch nie sah."
Schwalben, Kiebitz und Feldlerche verlieren ihren Lebensraum
Aber auch gegenteilige Tendenzen seien festzustellen. So sei der Rückgang von Mehl- und Rauchschwalbe, Gartenrotschwanz, Rebhuhn, Kiebitz, Schnepfe und Feldlerche besonders auffallend. Allen gemeinsam ist der Verlust des Lebensraumes und der Lebensbedingungen. Tersluisen: "Unsere Landwirtschaft ist hygienisch steril geworden. Es gibt auf den Höfen zwar noch Güllegestank, aber keine Fliegen mehr. Schwalben leben nun einmal von Fliegen und nicht von Gülle. Ihr Besatz ist auf gefühlte zehn Prozent gesunken. Da Schwalben und Lerchen fehlen, zieht sich auch der Baumfalke als ,Lerchenstößer' zurück."
Der Weißstorch fliegt wieder in der Region
Tersluisen hat jedoch auch eine Erfolgsgeschichte in petto: Der Weißstorch war vor 20 Jahren in NRW ausgestorben: "Infolge der intensiven Landwirtschaft galt dieser Zustand als zementiert." Im Kreis Recklinghausen - genauer gesagt in Dorsten - "baute man Nisthilfen und hatte damit großen Erfolg". Man könne zu Recht stolz
vom „Das Storchendorf Hervest“ sprechen.