Gladbeck. Die Bezirksregierung unterstützt Gladbecker Schulen mit einem Förderprogramm. Schüler-Defizite durch den Corona-Lockdown sollen aufgeholt werden.

„Anschluss individuell schaffen“, kurz „Ais“, so heißt das neue Programm der Bezirksregierung, das auch in Gladbeck dazu beitragen soll, dass sich für benachteiligte Schülerinnen und Schüler die coronabedingten Schulschließungen nicht so gravierend auswirken. „Wir haben nach dem Lockdown im März überlegt, was wir für Schülerinnen und Schüler tun können, die von Zuhause nicht die Unterstützung erhalten, oder die Fähigkeit haben, alleine gut Zuhause lernen zu können“, informierte Regierungspräsidentin Dorothee Feller am Montagvormittag die Presse am Amtssitz in Münster. Das Ergebnis sei „Ais“, ein Konzept, um Wissenslücken individuell zu schließen „und um die Fähigkeit zu vermitteln, besser selbstständig lernen zu können“. Denn es sei ja weiter nicht auszuschließen, dass Klassen in den Distanzunterricht gehen müssten, „weil an der Schule eine Coronainfektion aufgetreten ist“, so Feller.

Dorothee Feller, Regierungsvizepräsidentin der Bezirksregierung Münster.
Dorothee Feller, Regierungsvizepräsidentin der Bezirksregierung Münster. © FUNKE Foto Services | Lutz von Staegmann

Kern von „Ais“ sei, erläuterte Wolfgang Lennartz aus der Schulabteilung der Bezirksregierung, „dass Lehramtsstudierende an die beteiligten Schulen gehen, um in Kleingruppen Schülerinnen und Schüler flankierend zum Regelunterricht zu fördern“. Mit dem Ziel, „den Anschluss an das Lernniveau der jeweiligen Jahrgangsstufe schaffen zu können“. Rund 200.000 Euro stellt die Bezirksregierung dafür zunächst für den Zeitraum zwischen Sommer- und Herbstferien bereit, um 125 Studierende als Lerncoaches zu beschäftigen, die knapp 1000 Schülerinnen und Schüler der dritten bis sechsten Klasse an 65 beteiligten Schulen unterstützen.

Der Fokus liegt auf Schulen mit besonderen Herausforderungen

Der Fokus sei auf Schulen mit besonderen Herausforderungen gelegt worden, die im Status als „Typ Fünf Schule“ eingeordnet seien, so Lennartz. Die höchste Stufe im Sozialindex, die belegt, „dass die Schulen sich besonderen Herausforderungen stellen, da sie ein Schülerklientel unterrichten, das gemäß der Lernstandserhebungen oft deutlich hinter dem altersgerechten Wissensstand zurückliegt“. Schulen mit besonderen Belastungen durch einen hohen Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund, oft Geflüchtete oder Binnenzuwanderer aus Osteuropa, die kaum Deutsch sprechen, oder nur über eine rudimentäre schulische Elementarbildung verfügen. „Dies betrifft im Besonderen Schulen im Emscher-Lippe-Raum“, da die Zuwanderung hier vergleichsweise hoch war und ist. Mit dem Ergebnis, dass drei Viertel der beteiligten Schulen aus dieser Region sind, „und dort der Schwerpunkt des Projektes liegt“.

Projekt weiter fortführen

Die Schulleitung der Erich-Fried-Schule „begrüßt das Ais-Projekt der Bezirksregierung“, sagt Konrektor Christoph Hauptvogel. In Absprache mit den Klassenlehrern habe man sich dabei auf Schülerinnen und Schüler der sechsten Klasse konzentriert, „da wir dort - anders als bei den neuen Fünftklässlern - schon gute Einsicht in den individuellen Leistungsstand haben“.

Ausgewählt worden seien Kinder mit Defiziten, die Zuhause oft keinen Schreibtisch oder Rückzugsort haben und auch von den Eltern kaum Unterstützung erhalten können. Mit dem Ziel, sie so zu fördern, „dass sie künftig besser wissen, wie sei eigenständig lernen können“. Um den Lernerfolg zu verstetigen, sei es sicher sinnvoll, „dass das Projekt über die Herbstferien hinaus fortgeführt wird“.

In Gladbeck erhielten vier Grundschulen den Zuschlag, die Südpark-, Lamberti-, Wittringer- und Mosaikschule. Bei den weiterführenden Schulen sind es die Werner-von-Siemens- und Erich-Kästner-Realschule, sowie die Erich-Fried-Schule. An der Hauptschule im Stadtsüden fördert seit zwei Wochen Lehramtsstudentin Lea Steinik drei Ais-Gruppen. Eigentlich studiert die Mittzwanzigerin Deutsch und Englisch für die Sekundarstufe II (Gymnasium, Gesamtschule) in Bochum. Sie habe sich beworben, um praktische Erfahrung zu sammeln, da es ihr so gegangen sei wie vielen Lehramtsstudenten, „deren mehrmonatiges Studienpraktikum, das eigentlich von März bis Juni gehen sollte, durch den Corona-Lockdown und die Schulschließungen weggebrochen ist“. Der finanzielle Anreiz ist bei 15 Euro pro Stunde für die Ais-Coaches wohl auch kaum verlockend, um an einer Brennpunktschule zu unterrichten.

Einige Zwölfjährige beherrschen die Grundrechenarten schlecht

Hauptschullehrerin Elisa Martens betreut das Ais-Projekt an der Erich-Fried-Schule in Gladbeck.
Hauptschullehrerin Elisa Martens betreut das Ais-Projekt an der Erich-Fried-Schule in Gladbeck. © FUNKE Foto Services | Jörg Schimmel

Ihre Unsicherheit gegenüber der Hauptschule sei ihr „ganz prima von Elisa Martens genommen worden“, die aus dem Lehrerkollegium das Projekt an der Erich-Fried-Schule betreue, erzählt Lea Steinik. Die Hauptschulpädagogin habe sie vorab darauf vorbereitet, welche Schüler die Ais-Gruppen besuchen sollen und wo die Defizite der Sechstklässler liegen. „Zum Beispiel, dass einige der Zwölfjährigen die Grundrechenarten wie addieren, subtrahieren oder multiplizieren schlecht beherrschen, andere noch mit der Groß- und Kleinschreibung kämpfen“, so Martens. „Aus dem Grund arbeite ich fast ausschließlich mit Lehrbüchern aus der Grundschule“, erzählt Lea Steinik. Ein großer Vorteil für sie und die Kinder sei, dass in den vier bewilligten Ais-Gruppen nicht mehr als vier Kinder gecoacht werden. Die Handlungsanweisungen und Materialien, die die Bezirksregierung zusammengestellt habe, „sind dabei sehr hilfreich“, lobt die Studentin.

Schülerin Rajan freut sich derweil über die zusätzliche Unterstützung. „Für Deutsch einen Text zu lesen und dann Hilfe zu haben, um im Arbeitsblatt aufzuschreiben, was ich davon verstanden habe“, so die 12-Jährige. Mohammad (12) flüchtete vor zwei Jahren aus Syrien nach Gladbeck. „Mathe und Deutsch sind am schwersten, aber Englisch kann ich ganz gut“, sagt er. Alle 16 Ais-Schülerinnen und Schüler seien „super dankbar für die Unterstützung, sehr empfänglich für alles und sie freuen sich, dass ihnen geholfen wird“, so das Zwischenfazit von Lea Steinik.

Entscheidung über Fortführung des Projektes nach den Herbstferien

Regierungspräsidentin Dorothee Feller will mit dem Beginn der Herbstferien evaluieren, wie das Projekt gelaufen ist, „und dann darüber entscheiden, inwieweit wir es fortführen werden“.