Gladbeck. Ein Koffer mit Dokumenten hat Axel Morbach veranlasst, seine Familiengeschichte zu studieren. In alten Kirchenbüchern stieß er auf Erstaunliches.
Es sind gar nicht wenige Gladbecker, die sich schon seit längerem mit der Geschichte ihrer Familie befassen. Der Corona-Lockdown bescherte ihnen plötzlich mehr freie Zeit und hat mit dazu beigetragen, dass sich viele noch intensiver mit dem Thema beschäftigt haben. Einige dieser Familienforscher stellt die WAZ Gladbeck in lockerer Folge vor.
Hinter mancher Familiengeschichte stecken echte Überraschungen
Hinter mancher Geschichte stecken echte Überraschungen, die nicht zuletzt durch die Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv Gladbeck entdeckt werden konnten. Axel Morbach ist 66 Jahre alt und war bis vor kurzem als Mathematiker in der Informatikbranche beruflich unterwegs. Die Initialzündung, sich mit der eigenen Geschichte auseinander zu setzen, gab bereits vor 20 Jahren der Tod einer Tante. Seine Eltern fanden unter anderem einen Koffer voller Dokumente. „Die Unterlagen wiesen auf eine Gegend hin, die nicht das Ruhrgebiet ist.“
Da er sich immer schon für Geschichte und Geographie begeistert hat, war seine Neugier geweckt. „Ich hatte von meiner Großmutter immer Geschichten von einer anderen Gegend gehört, aber, wie das so ist, für einen Jugendlichen ist das nicht interessant – etwa nach dem Motto: Oma hat viel erzählt.“ Die Dokumente hätten dann im Laufe der Jahre dazu geführt, sich intensiver mit der Thematik zu befassen. „Meine Tante mütterlicherseits ist als einzige in der Familie noch in Ostpreußen aufgewachsen und ist weit vor dem Krieg nach Berlin gezogen. Die Unterlagen hat sie immer aufbewahrt.“ Es war keine einfache Recherche, denn die Ortschaften in Ostpreußen wurden mehrfach umbenannt: In den 1930er Jahren, weil sie für die Nationalsozialisten nicht „deutsch genug“ klangen, und nach 1945 wurden sie ins Polnische oder Russische übertragen, je nachdem, welche Ortschaft welchem Land zugeteilt war.
Axel Morbach nutzte die Datensammlung der Mormonen
„Das war gar nicht so einfach für jemanden, der sich nicht auskennt“, berichtet Axel Morbach. Dabei habe er schließlich die umfangreiche Datensammlung der Mormonen (siehe Info) genutzt: „Die haben flächendeckend die Kirchenbücher fotokopiert und man konnte sich Filme ausleihen.“ Das sei zwar recht mühsam gewesen, habe aber schließlich Erfolg gehabt. Die Kernorte der Familie waren das Kirchspiel Georgenburg bei Insterburg, jetzt Russland zugehörig, und das etwa 60 Kilometer entfernte Goldap, das heute polnisch ist.
Axel Morbach hat den Weg seiner Familie bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgen können. „Dabei gab es auch begüterte Vorfahren. Das waren dann Leute, die Land hatten und es bestellten, aber auch Vorfahren, die ihren Standort als Landarbeiter ständig gewechselt haben. Jedes der Kinder wurde in einer anderen Kirche getauft und das stelle ich mir ziemlich anstrengend vor“, sagt Morbach. Auf Familienfotos aus dem Koffer der Tante sehe man sowohl sehr gut gekleidete als auch ärmlich wirkende Menschen. So glaubt er, die Not eines Familienzweiges habe schließlich dazu geführt, dass sich ein Vorfahr auf den Weg nach Essen gemacht habe, um dort im Bergbau zu arbeiten. Keine seltene Wanderung in diesen Jahren der aufkommenden Industrialisierung.
In Melde- und Einwandererlisten tauchte der Familienname der Mutter auf
Die Tante hingegen ist als Pflegekind in einer begüterten Familie aufgewachsen, hat er ebenfalls herausgefunden. „Die Jahre 1780/1790 können noch nachgewiesen werden, dann kommen die Kirchenbücher an ihre Grenzen“, sagt der Hobby-Forscher. Jetzt aufzuhören, kann sich Axel Morbach überhaupt nicht vorstellen: „Ich mache weiter, weil es noch andere Dokumente gibt: Melde- und Einwandererlisten, da taucht der Familienname meiner Mutter wieder auf“, denn im Jahr 1736 sind für Ostpreußen nicht wenige „Zuwanderer aus Deutschland“ angegeben.
Drei Milliarden Familiendaten
Das Datenbank-Portal FamilySearch der Mormonen ist mit drei Milliarden Personendaten die größte genealogische Datenbank weltweit. „Die Suche danach, unsere Familiengeschichte zu verstehen, kann unser Leben verändern“, sagt Mormonenpräsident Gordon Hinckley.
Nach ihrem Glauben ist es möglich, längst gestorbene Vorfahren nachträglich durch einen Stellvertreter taufen und in die Mormonengemeinde aufnehmen zu lassen.
Die Frage, die Axel Morbach lösen möchte: „ Deutschland war ja sehr groß damals - woher aus dem Westen könnten meine Vorfahren nach Ostpreußen gekommen sein?“ Er will weiter suchen und irgendwann seinen beiden Söhnen (18 und 20) ein gebundenes Buch in die Hand drücken: „Wenn sie wollen, können sie weiterforschen und wenn sie kein Interesse haben, dann ist das Buch eine Erinnerung. Da stehen auch meine Daten drin.“
Und noch etwas treibt ihn an: „Ich habe jetzt eine entfernte Verwandte meiner Mutter in den USA gefunden. Sie kam aus dem gleichen Dorf, trägt den gleichen Namen und hat die gleichen Vorfahren. Außerdem ist da noch ein großer Wunsch: „Ich wollte immer nach Ostpreußen und habe es nie geschafft. Das werde ich noch machen.“