Gladbeck. Theo und Ulla Marnette geben nach 35 Jahren ihre Kneipe auf. Sie verabschieden sich mit Wehmut, aber auch mit Freude auf den neuen Lebensabschnitt.

Wieder verschwindet ein Stück Stadtgeschichte und Kneipenkultur: Das Haus Marnette, seit 1957 beliebter Treffpunkt an der Lindenstraße, schließt in diesem Monat. Wann genau zum letzten Mal Bier gezapft wird, das halten Theo und Ulla Marnette geheim. Ansonsten, befürchten sie, wäre der Ansturm der Gäste, die Abschied nehmen wollen, zu groß in Coronazeiten.

Apropos Corona: „Während der drei Monate, in denen Kneipen und Restaurants geschlossen waren, hatten wir ja Zeit zu ,üben’, wie wir klarkommen, wenn wir nicht täglich hinter dem Tresen oder in der Küche stehen“, sagt Theo Marnette. Und seine Frau ergänzt: „Es hat prima geklappt und uns die Entscheidung, jetzt Schluss zu machen, erleichtert.“

Haus Marnette wurde von Vater Theo 1957 eröffnet

Abschied von den Gästen: Gastwirt Theo Marnette (2. v.l.) trinkt ein letztes Pils mit den Besuchern im Biergarten seines Traditionslokals.
Abschied von den Gästen: Gastwirt Theo Marnette (2. v.l.) trinkt ein letztes Pils mit den Besuchern im Biergarten seines Traditionslokals. © FUNKE Foto Services | Lutz von Staegmann

Und dennoch: Leicht fällt Theo und Ulla Marnette der Abschied nicht. Immerhin führen die jetzt 70-Jährigen ihr Restaurant – abzüglich einer fünfjährigen Auszeit, in der sie die Kneipe verpachtet hatten – schon 35 Jahre. Theos gleichnamiger Vater, von Hause aus Landwirt, hatte sie 1957 eröffnet. Der Sohn stand schon als Neunjähriger hinter der Theke, „auf einer Fußbank“, erzählt er. Trotzdem kam ihm zunächst nicht in den Sinn, in Vaters Fußstapfen zu treten. Mode war eher sein Ding. Er ging bei Buschfort in die Lehre, arbeitete später im Bekleidungshaus Schönhoff. „Von Theo bekleidet, von allen beneidet“, sein Werbeslogan in eigener Sache, war damals fast ein geflügeltes Wort.

Und dann entschloss er sich doch umzusatteln, Vaters Kneipe zu übernehmen. Ehefrau Ulla zog mit ihm an einem Strang, trotz zweier kleiner Kinder. Um die kümmerte sich ihre Mutter, wenn Ulla ihren Mann nachmittags ablöste. Der bediente dann schon ein paar Stunden seine Gäste. Damals aßen etliche Mitarbeiter aus Betrieben in der Nähe bei ihm zu Mittag. Theo Marnette: „Und nach der Arbeit saßen 30 Leute an der Theke.“

Haus Marnette wird immer noch von vielen Gruppen und Vereinen besucht

2017 kam Brauerei-Chef Axel Stauder zu den Marnettes, die seit langem das Essener Traditionsbier ausschenken, und zapfe höchstpersönlich in der Kneipe an der Lindenstraße - sehr zur Freude von Ulla  und Theo Marnette.  
2017 kam Brauerei-Chef Axel Stauder zu den Marnettes, die seit langem das Essener Traditionsbier ausschenken, und zapfe höchstpersönlich in der Kneipe an der Lindenstraße - sehr zur Freude von Ulla und Theo Marnette.   © Schüngel

Diese Zeiten sind vorbei. Auch die beliebten Silvesterfeiern („Die Gäste kamen festlich gekleidet, einer sogar einmal im Frack“), die zünftigen Oktoberfeste („Alle Frauen trugen Dirndl“), die Feten an Weiberfastnacht, am Rosenmontag und zur Bacchusbeerdigung waren irgendwann passé. Die vielen Stammgäste waren, wie die Wirtsleute, älter geworden. „Viele, die wir seit Jahrzehnten kannten, leben nicht mehr“, sagt Ulla Marnette traurig.

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Seit ein paar Jahren öffnet das Paar die Gaststätte erst um 16.30 Uhr – aber dann ist immer was los. Etliche Vereine und Gruppen haben dort ihre Stammtische, spielen Doppelkopf, knobeln oder klönen einfach. Ulla Marnette: „Und alle haben uns entsetzt gefragt, wohin sie denn gehen sollen, als wir ihnen erzählt haben, dass wir schließen.“ Ihr Mann pflichtet ihr auf seine typische Art bei: „Wenn wir gehen, stirbt Gladbeck-Ost.“ Wohl wahr: Eine Kneipe gibt es dann im Stadtteil nicht mehr. Das Haus ist verkauft. Die Gaststätte weicht einem Büro.

Wenn es besondere Leckereien gab, kamen immer viele Gäste

Einen Run erlebt das Haus Marnette immer dann, wenn neben Schnitzeln, Schaschlik und Co. besondere Leckereien auf dem Speisenplan stehen: mal Panhas, mal Reibekuchen, mal Spareribs, mal Muscheln . . . „Da gehen immer bis zu 50 Portionen weg. Ein Stammgast hat neulich gefragt, ob ich in Zukunft zu ihm nach Hause komme und Muscheln koche“, schmunzelt Theo Marnette.

Die Gäste werden ihr Stammlokal also vermissen – Marnettes ihre Gäste auch: „Es war oft anstrengend, bis spät in die Nacht zu arbeiten. Aber wir hatten in all den Jahren so viele nette Begegnungen und schöne Stunden, dass wir keinen Tag bereuen“, sagt Ulla Marnette. „Es ist traurig zu wissen, dass wir viele der Menschen, die wir schon so lange kennen, allenfalls noch mal zufällig treffen werden.“

Marnettes haben mehr Zeit zum Radeln und Reisen

Aber da ist auch er Blick in die Zukunft, das „lachende Auge“ sozusagen: „Wir haben jetzt mehr Zeit für die Familie. Vor wenigen Wochen sind wir zum erstem Mal Großeltern geworden. Wir fahren gerne Rad, treiben gern Sport und können mehr Reisen unternehmen.“

Aber erstmal heißt es Abschied nehmen. Jeden Tag sagt eine andere Gruppe, sagen andere Stammgäste endgültig Auf Wiedersehen – und jedes Mal fließen Tränen. An den Tränenstrom am endgültig letzten Tag im „engsten Kreis“ mögen Theo und Ulla Marnette noch gar nicht denken.