Gladbeck. Der Hegering Gladbeck warnt vor falsch verstandener Tierliebe. Diese könne lebensgefährlich für Rehkitze, Häschen und Co. werden.

Von einem „Bambi-Syndrom“ spricht Gerd Tersluisen. Klingt positiv, klingt nach Mitgefühl und Tierliebe. Doch der Fachmann des Hegerings Gladbeck warnt mit Nachdruck davor, sich von diesem Gefühl leiten zu lassen und womöglich gefundene Wildtierkinder anzufassen oder gar mitzunehmen. Das könne für beide Seiten fatale Folgen haben.

Gladbeck: Tierkinder wecken Beschützerinstinkte – gerade bei Frauen

Denn dass Rehkitze, kleine Füchse, Häschen oder junge Greifvögel von ihren Eltern verlassen oder verwaist seien, komme ausgesprochen selten vor. Viel häufiger handelten Menschen aus falsch verstandener Tierliebe. „Natur- und Tierschutzgruppen fordern im Internet geradezu zu solch einem Fehlverhalten auf“, kritisiert Tersluisen.

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Mütterliche Beschützerinstinkte – „Guck’ mal, wie niedlich!“ – würden immer bei Frauen geweckt. „Männer machen das nie“, stellt der Fachmann fest. So würden gerade in der aktuell beginnenden Zeit der Aufzucht aller Jungtiere in Wald und Feld immer wieder vermeintliche „Waisenkinder“ aufgenommen und zu Aufzuchtstationen gebracht.

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„Besonders häufig werden Kitze aufgegriffen. Häschen nicht so oft“, berichtet Tersluisen. Dabei seien diese Tiere „fast nie“ elternlos. Der Jäger erklärt: „Die Häsin setzt drei bis fünf behaarte und sehende Junge, die etwa drei, vier Tage zusammen hocken. Dann hoppelt ein jeder in eine andere Richtung davon und sucht sich seine eigene sichere Deckung.“ Nur einmal am Tag, meist gegen Mitternacht, gebe es „ein konspiratives Treffen aller Junghasen mit der Häsin an einem offensichtlich verabredeten Punkt“. Tersluisen erläutert mit einem Augenzwinkern: „Dort wird dann die Milchbar eröffnet, und es beginnt ein großes Gelage.“ Sprich: Es ist „Essenszeit“. Dieses Verhalten des Hasen, ansonsten ein Einzelgänger, diene der „Feindvermeidung“.

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Die Ricke bringt meistens ein Kitz zur Welt

Ein Fuchs finde so nur eines der Tiere und nicht gleich einen ganzen Satz. Beim Rehwild verhalte es sich ähnlich. Die Ricke bringt meistens ein Kitz zur Welt. Manchmal können es auch zwei oder drei Rehkinder sein. „Das Kitz wird in sicherer Deckung abgelegt. Es hat noch keinen Eigengeruch. Nur aus seinen Nasenöffnungen strömt ein Duftstrom, der von seiner Mutter in einer Entfernung von 40 bis 60 Metern ständig wahrgenommen wird. Bei Gefahr verschließt das Kitz beide Nasenöffnungen luftdicht und duckt sich auf den Boden“, beschreibt Tersluisen. Die Geruchsverbindung zur Mutter werde auf diese Weise unterbrochen. Drohe Gefahr durch Menschen oder Hunde, warte die Ricke ab, sei dann kaum sichtbar.

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„Es passiert ganz selten, dass es zu einem Verkehrsunfall kommt, bei dem nur die Ricke getötet und das Kitz verwaist wird“, betont Tersluisen. Vielmehr „wird ein Kitz verwaist, wenn es durch Streicheln oder Anfassen den menschlichen Geruch angenommen hat und von seiner Mutter nicht mehr erkannt wird“. Dann schwebe das Jungtier in akuter Lebensgefahr.

Bald sitzen viele junge Eulen in den Kronen ihrer Nistbäume oder auf dem Boden unter ihnen. Flugunfähig warten sie auf die Eltern, die Futter bringen. Tersluisen: „Diese Vögel sind ebenfalls nicht Waisen, auch wenn kein Altvogel in der Nähe ist.“ Es wäre völlig falsch, sie in eine Aufzugsstation zu schaffen. Solch eine Tierrettung könne sogar gefährlich für den Menschen werden: „Die Elterntiere der Waldkäuze greifen in solch einer Situation gerne an.“ Die Vögel können denn Menschen schwer verletzen.

Appell an Naturfreunde

Der Hegering Gladbeck bittet Naturfreunde, einige Verhaltensregeln zu beherzigen. So lautet der eindringliche Appell: „Fassen Sie niemals gefundenes Wild an!“

Der Laie sollte sich schnell vom Fundort entfernen, ohne die Vegetation herunter zu treten. „Sonst weisen Sie jedem Fuchs, aber auch anderen Feinden – Mensch, Hund etc. – den Weg zu ihrem gefundenen Wildtier“, erklärt Gerd Tersluisen.

Wer ein verletztes Wildtier entdeckt, ist gehalten, mit Hilfe der Polizei den „zuständigen Jagdausübungsberechtigten“ zu benachrichtigen. Der Experte kümmert sich um Fuchs, Kitz und Co.

Aber für alle anderen gilt: „Nehmen Sie das Tier niemals mit!“ Tersluisen: „Der Gesetzgeber wertet dieses Verhalten aus guten Gründen als Jagdwilderei.“ Eulen sollte man nur bei klar zu erkennender Verletzung zu einer Auffangstation bringen.

Tersluisen wendet sich explizit an Hundehalter: „Nehmen Sie bitte Ihren vierbeinigen Freund im Zeitraum ab jetzt bis zum 15. Juli an die Leine – und zwar auch außerhalb von Gebieten mit ausgewiesenem Leinenzwang. Nur so zeigen Sie Verständnis für die Natur. Nur so werden Sie zu einem Freund unserer Wildtiere.“