Gladbeck/ Gelsenkirchen/ Bottrop. Der DGB fürchtet in Zeiten der Corona-Pandemie um viele Arbeitsplätze in der Emscher-Lippe-Region. Die Mai-Kundgebung fällt in diesem Jahr aus.
Der 1. Mai - der Tag der Arbeit – ist traditionell der Tag der Gewerkschaften. Doch die Corona-Pandemie verändert alles und so wird es in diesem Jahr erstmals keine Kundgebung zum 1. Mai geben. Die WAZ sprach mit Mark Rosendahl, Regionsgeschäftsführer des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in der Region Emscher-Lippe, über drängende Fragen in der Krise, Themen, die derzeit in den Hintergrund rücken, und den Ausfall der Veranstaltung zum 1. Mai.
Herr Rosendahl, ist der Tag der Arbeit in Zeiten von Corona wichtiger denn je?
Rosendahl: Dass er wichtiger denn je ist, würde ich nicht sagen. Aber er ist wichtig. Auch, um unsere Botschaften senden zu können. Eine wichtige Botschaft ist, dass Pflege- und Erziehungsberufe besser bezahlt werden müssen. Durch Corona wurde da jetzt verstärkt das Augenmerk drauf gelenkt. Es ist aber auch ein Gesichtspunkt, der nach der Krise weiterverfolgt werden muss.
1. Mai: Redebeiträge online
Die Kundgebung fällt erstmals aus. Was bedeutet das für Sie?
In der Geschichte der Gewerkschaft ist es das erste Mal, mit Ausnahme der NS-Diktatur, dass die Kundgebung zum 1. Mai ausfällt. Das ist für uns natürlich ein Verlust an Präsenz. Wir sind nur online sichtbar. Ich glaube zwar schon, dass wir auch auf diesem Wege viele Menschen erreichen werden, aber Solidarität bedeutet ja auch, dass man miteinander für etwas einsteht. Das wird es so in diesem Jahr nicht geben. Wir tragen als Gewerkschaften die aktuellen Maßnahmen, wie die Kontaktsperre, voll und ganz mit. Der Schutz jedes Einzelnen geht vor. Die Infektionsgefahr muss so gering wie möglich gehalten werden. Dazu wollen wir beitragen, und daher hat sich der DGB dazu entschieden, keine öffentlichen Kundgebungen zu veranstalten. Splittergruppen, wie die MLPD, die nun in mehreren Städten eine Demo organisieren wollen, wollen sich nur selbst in den Vordergrund spielen.
Was plant der DGB stattdessen am 1. Mai?
Es wird zentral einen Livestream (https://www.dgb.de/erster-mai-tag-der-arbeit) geben. Wir in der Emscher-Lippe-Region stellen zudem Rede- und Kulturbeiträge auf unserem Youtube-Kanal online, darunter mit Grußworten von den Bürger- und Oberbürgermeistern sowie Ehrenamtlichen, der Poetry-Slammerin Ella Anschein und auch mit einer Rede von mir.
Was fordert der DGB in Zeiten von Corona?
Das Kurzarbeitergeld muss erhöht werden. 80 beziehungsweise 87 Prozent des Lohns gibt es erst ab dem siebten Monat. Das ist zu spät. Es kann die Existenz bedrohen, nur einen Teil seines Lohns zu bekommen. Vor allem, wenn dies über mehrere Monate geschieht. Wir fordern, dass das Kurzarbeitergeld von Anfang an erhöht werden muss.
Wie viele Betriebe haben bisher Kurzarbeitergeld angemeldet?
In der Emscher-Lippe-Region haben um die 6000 Betriebe Kurzarbeit angemeldet, in Bottrop und Gelsenkirchen rund zweieinhalbtausend Firmen, im Kreis Recklinghausen rund dreieinhalbtausend Betriebe. Wie viele Arbeitnehmer dahinter stehen, das wissen wir noch nicht. Entsprechende Zahlen wird die Arbeitsagentur am Donnerstag veröffentlichen. Wir gehen aber davon aus, dass es ein Vielfaches der Zahlen der Wirtschaftskrise 2009 wird.
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Befürchten Sie viele Firmen-Pleiten?
Sicher besteht die Gefahr der Insolvenz. Gerade in Branchen wie der Gastronomie oder auch bei Reisebüros, in denen es einen Einbruch beim Umsatz gibt. In anderen Bereichen, etwa in der Metallbranche, wird die Produktion unter gewissen Schutzvorkehrungen wieder anziehen. Das gelingt aber auch nur mit Hilfe des Kurzarbeitergeldes. Das ist der Vorteil eines Sozialstaates. In den USA etwa sind schließlich Millionen Menschen arbeitslos geworden.
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Wie hat die Pandemie das Arbeitsleben verändert?
Das Thema Infektionsschutz wird einen höheren Stellenwert bekommen, auch wenn wir vielleicht in einem Jahr durch einen Impfstoff geschützt werden. Wir werden sicher darüber reden, ob die Auslagerung der Produktion, etwa von Medikamenten, in Billiglohnländer sinnvoll ist und diese zurückholen, dann auch zu höheren Kosten. Die Akzeptanz von Homeoffice wird steigen. Es ist eine gute Alternative, aber man muss aufpassen, dass die Selbstausbeutung nicht zunimmt. Die Erfahrung ist, dass zuhause mehr gearbeitet wird, da die klare Trennung zwischen Freizeit und Beruf nicht mehr so da ist.
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Welche Themen geraten derzeit in den Hintergrund?
Das sind einige. Ich denke da etwa an den Klimaschutz und an den Bereich der Bildungspolitik. Gerade Kinder aus sozial schwachen Familien haben Probleme. Sie sind in Zeiten der Pandemie noch größer geworden, weil viele Kinder zuhause nicht die nötige Förderung bekommen und technische Voraussetzungen nicht immer vorhanden sind. Auch die Größe des Wohnraums spielt eine Rolle. Wer zuhause lernt, muss dafür auch einen Rückzugsort haben.