Gladbeck. Das Verfassungsgericht hat eine strengere Toleranzgrenze für Wahlbezirksgrößen festgelegt. Die Hälfte der Gladbecker Wahlbezirke ist betroffen.
Ein aktuelles Urteil des NRW Verfassungsgerichtes sorgt jetzt für Zeitdruck und zusätzliche Arbeit des Wahlbüros der Stadtverwaltung sowie der Mitglieder des Wahlausschusses. Etwa die Hälfte der Wahlbezirke in Gladbeck müssen bis zum 29. Februar (Meldefrist) neu zugeschnitten werden. Denn der Richterspruch vom 20. Dezember legt eine neue Obergrenze fest, inwieweit die Einwohnerzahl in einem Wahlbezirk vom Durchschnitt aller Wahlbezirke in der Stadt abweichen darf. Bislang galten relativ großzügige 25 Prozent. Mit dem Entscheid wird die Abweichungstoleranz aber strikter gefasst und die Quote auf maximal 15 Prozent festgelegt.
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„Wie viele und welche Wahlbezirke im Stadtgebiet konkret betroffen sind, können wir noch nicht sagen“, so Christiane Schmidt vom Presseamt auf Anfrage. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Wahlbüros, das für die Vorbereitung und ordnungsgemäße Durchführung der Kommunalwahl am 13. September zuständig ist, „werten aktuell noch mit Hochdruck die jeweilige Anzahl der Einwohner nach den neuen rechtlichen Vorgaben aus“. Nach erster grober Auswertung gehen man aber schon davon aus, „dass etwa die Hälfte der 22 Wahlbezirke in Gladbeck neu zugeschnitten werden muss“.
Auch die wahlberechtigten EU-Bürger müssen berücksichtigt werden
Stichwahl muss weiter gelten
Hintergrund des Urteils des Verfassungsgerichtshofes NRW ist ein Normenkontrollverfahren, das 83 Landtagsabgeordnete von SPD und Grünen eingeleitet hatten. Primär richtetet sich dieses gegen die Abschaffung der Stichwahl durch die schwarz-gelbe Landesregierung im April 2019. Diese Abschaffung war laut des nun gefällten Urteils verfassungswidrig.
Dies gelte nicht für die ebenfalls angegriffene Neuregelung der Wahlbezirksgrößen für die Wahlen zu Räten und Kreistagen, so die Verfassungshüter. Denn diese führe zu einer verbesserten Realisierung der Wahlrechts- und Chancengleichheit. Eine Abweichung von der 15 Prozent-Toleranzgrenze dürfe nur in besonders zu rechtfertigenden Ausnahmen erfolgen.
Eine Schwankung der Bevölkerungszahl in den Wahlbezirken ergibt sich immer wieder aufgrund von Zu- und Abwanderungsbewegung, so dass auch in der Vergangenheit vor den Wahlen Anpassungen vorgenommen werden mussten. Mit Blick auf die Kommunalwahl 2020 sind diese bereits im Herbst 2019 bei sieben Wahlbezirken in Rentfort, Butendorf und Rosenhügel erfolgt. Anlass für die Änderung waren die schon da erwartete Änderungen des Kommunalwahlgesetzes. Denn dieses sieht mit dem jetzigen Richterspruch auch vor, dass nun nicht mehr die Gesamtbevölkerung, sondern nur noch die Deutschen und EU-Bürger zu berücksichtigen sind. Drei Wahlbezirke wurden demnach schon kleiner, vier größer zugeschnitten, wovon 720 wahlberechtigte Bürger betroffen waren.
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Jetzt muss das ganze Procedere neu angepackt werden, da die kommunalen Experten die neu festgelegte Abweichungstoleranz noch nicht erwartet hatten. Im Herbst lag die Zahl der zu berücksichtigenden Bevölkerung in Gladbeck bei 68.274 Personen. Das ergab einen Durchschnitt von 3.103 Einwohnern pro Wahlbezirk. Durften bei einer 25 Prozent-Obergrenze noch bis zu 776 Personen vom Durchschnitt abweichen, so lässt die strengere 15 Prozent-Toleranz nur noch 465 zu. „Wir werden die Politik so schnell wie möglich über die Veränderungen informieren und ein Informationsschreiben zum Thema zusenden“, so Christiane Schmidt. Der Wahlausschuss der Stadt muss über die neu zugeschnittenen Wahlbezirke beschließen. Dies soll Mitte Februar erfolgen. Die Zeit drängt, denn um die rechtlich vorgegeben Fristen zur Kommunalwahl einzuhalten, muss die Einteilung des Gemeindewahlgebietes bis Ende Februar stehen (Kreisgebiet Ende März).
Die Parteien müssen gegebenenfalls ihre Kandidaten neu aufstellen
Die neue Abweichungstoleranz könnte auch noch einmal die Gladbecker Politik drängen, kurzfristig tätig zu werden. Denn unklar ist, ob die bereits aufgestellten Kommunalwahl-Kandidaten aufgrund eines neuen Zuschnitts ihre Kandidatur im Wahlbezirk fortsetzen können. Gegebenenfalls muss eine neu Aufstellung erfolgen und die Stadtverbände der Parteien oder Wählergruppen entsprechend eine erneute Wahlkonferenz einberufen. Auch in bisherige Hochburgen einer Partei könnten sich durch den neuen Zuschnitt Mehrheiten verschieben. Die Politik hat dafür aber etwas mehr Luft, denn Stichtag für die Einreichung der Wahlunterlagen ist der 16. Juli 2020, 59 Tage vor der Wahl (zuvor 48 Tage).
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Der Chef der zurzeit größten Fraktion im Gladbecker Rat (SPD, 20 Sitze), Michael Hübner, kritisiert „den Zeitdruck, der durch den Richterspruch entsteht“. Das zeige, „wie weltfremd die Verfassungsrichter oft urteilen“. Hätte das Gericht eine Frist bis zur nächsten Wahl 2025 festgelegt, „hätte man der Politik wie den Stadtverwaltungen diesen zusätzlichen Aufwand ersparen können“, so Hübner, der Landrat des Kreises Recklinghausen werden möchte. CDU-Stadtverbandsvorsitzender Dietmar Drosdzol (zugleich Bürgermeisterkandidat) sieht der Neuregelung gelassen entgegen. „Wir haben unsere Mitgliederversammlung zur Besetzung der Wahlbezirkskandidaten erst für den 28. April terminiert.“ Auch in der Vergangenheit sei es durch Wahlbezirksverschiebungen vorgekommen, „dass Kandidaturen angepasst werden mussten“. Die kurzfristige gesetzliche Neuordnung sei ärgerlich, aber man müsse und werde sich daran anpassen, so Drosdzol.