Gladbeck. . Das Geiseldrama von Gladbeck jährt sich zum 30. Mal. Die Wohnung von Thomas Grezellas Eltern wurde zur Einsatzzentrale, er traf auf die Täter.

Als Thomas Grezellas Mutter ihren Sohn am Morgen bei einem Schulfreund erreicht, um ihm zu sagen, dass er nicht nach Hause kommen kann, ist das letzte woran der damals 18-Jährige denkt, ein Banküberfall. „Ich dachte, vielleicht macht mein Papa Theater, weil ich nicht zu Hause bin.“

In der zweiten Etage des Hauses Schwechater Straße 38 wohnte Thomas Grezella mit seinen Eltern. Von dort hatten die Beamten einen guten Blick auf die Bank.
In der zweiten Etage des Hauses Schwechater Straße 38 wohnte Thomas Grezella mit seinen Eltern. Von dort hatten die Beamten einen guten Blick auf die Bank. © Hans Blossey

Dass aber das Spezialeinsatzkommando der Polizei gerade in die elterliche Wohnung im Hochhaus Schwechater Straße 38 gekommen ist, um dort eine Einsatzzentrale einzurichten und von dort aus das Geschehen in der Filiale der Deutschen Bank zu beobachten: unvorstellbar. Die Gladbecker Hans-Jürgen Rösner und Dieter Degowski hatten die Bank überfallen und zwei Mitarbeiter als Geiseln genommen.

Polizei lagert in der Wohnung Lösegeld und Sprengstoff

Von der Polizei markiertes Lösegeld lagert in der Wohnung, ebenso Sprengstoff und Pläne der Bank. An der Wohnzimmerwand hängen Fotos der beiden schnell Verdächtigten. „Unzählige Polizisten sind den ganzen Tag ein- und ausgegangen“, erinnert sich der heutige Gelsenkirchener. Als der 18-Jährige gegen Abend wieder in die Wohnung darf, schrauben Beamte in seinem Zimmer gerade die Ferngläser von den Gewehren. Noch amüsiert sich der junge Mann über das, was seine Eltern den ganzen Tag über erlebt haben. Er selbst beobachtete das Geschehen mit seinen Kumpels von der Straße aus.

Thomas Grezella erinnert sich in der WAZ erstmals öffentlich an das Geiseldrama und seine Erlebnisse.
Thomas Grezella erinnert sich in der WAZ erstmals öffentlich an das Geiseldrama und seine Erlebnisse. © Sabrina Didschuneit

Kurz darauf wollen Grezella und seine Schulkameraden noch eine Bekannte mit Papas Wagen nach Essen fahren. Plötzlich leuchtet die Tankanzeige auf. Also steuert der junge Mann die nächste Zapfsäule an. Beim Auffahren auf das Gelände der Tankstelle an der Horster Straße erblickt sein Schulkamerad einen Maskierten.

Er kannte die Bankangestellten vom Sehen

Die Freunde denken zunächst an einen SEK-Beamten, Grezella beginnt zu tanken. Dann wird ihnen klar: Das sind die Geiselgangster. „Ich dachte die ganze Zeit, hoffentlich kommt jetzt keine Polizei, nicht dass es noch zu einer Schießerei kommt oder sie mich auch noch als Geisel nehmen“, erinnert sich der heutige Familienvater. Er schaut in das Auto, direkt in die Gesichter der beiden Bankangestellten. „Ihren Blick werde ich nie vergessen.“ Er kannte die beiden vom Sehen, jeden Morgen auf seinem Schulweg musste er an der Bank vorbei.

Das Verbrechen ging in die Geschichte ein

Das Geiseldrama von Gladbeck ist bis heute in vielen Köpfen präsent und ging aufgrund des viel kritisierten Verhaltens von Medien und Polizei in die Geschichte ein.

Am Ende des 54-stündigen Verbrechens sind drei Menschen tot, ein Polizist und zwei im weiteren Laufe des Verbrechens genommene Geiseln.

Die Geiselnehmer werden zu lebenslanger Haft verurteilt, Degowski ist inzwischen aus dem Gefängnis entlassen.

Während der 18-Jährige die Tankrechnung bezahlt – „20 Mark, das weiß ich alles noch ganz genau“ – geht Rösner auf das Auto zu, in dem seine Freunde warten. Einen Gürtel möchte er haben, doch die jungen Leute haben keinen. „Ihr seid alle nicht gut drauf“, hört Grezella den Bewaffneten sagen, der nun mit dem Fuß die Autotür wieder zukickt. Grezella hat einen Gürtel, hektisch reißt er ihn aus den Schlaufen seiner Hose und gibt ihn Rösner. 300 Mark will der ihm dafür geben. „Ich wollte das Geld nicht annehmen, ich wusste ja auch, dass es markiert ist.“ Ein Windstoß fegt die Scheine schließlich aus Rösners Händen.

Die Geiselnehmer fahren davon, die Jugendlichen zur Polizei. Auch heute noch kann der Elektroinstallateur nicht fassen, so nah dran an diesem unglaublichen Verbrechen gewesen zu sein. „Ich war froh, dass ich heil davon gekommen war.“