Gladbeck. . Gut 94 Prozent der Gladbecker Eltern lassen ihre Kinder gegen Krankheiten wie Polio und Tetanus impfen. Kinderarzt Kusserow setzt auf Aufklärung.
Weit mehr als 90 Prozent der Eltern im Kreisgebiet Recklinghausen lassen ihren Nachwuchs gegen Krankheiten wie Masern, Polio (Kinderlähmung) und Hepatitis B impfen. Diese Zahl nennt Lena Heimers auf Anfrage der WAZ. Die Sprecherin der Kreisverwaltung kann diesen Wert, auf den andere Region im Land neidisch blicken dürften, sogar noch toppen. Heimers sagt: „Für Gladbeck sind die Zahlen sogar noch einen Tick besser. Bei Tetanus haben wir eine Quote von mehr als 94 Prozent gegenüber 93 Prozent im Kreisdurchschnitt.“
Gegen Masern lassen gut 96 Prozent der Gladbecker Eltern ihre Kinder impfen. Kreis Recklinghausen: 94,5 Prozent. „Die Weltgesundheitsorganisation sagt, dass bei der Impfung gegen Masern eine Quote von 95 Prozent plus x perfekt sei“, so Lena Heimers. Ihre Bilanz: „Impfmüdigkeit gibt es im Kreis Recklinghausen nicht!“
Nachweis bei Einschulungsuntersuchung
Bei den Einschulungsuntersuchungen sollen Mütter und Väter den Impfpass ihres Nachwuchses vorlegen. Heimers. „Dadurch wissen wir, dass die Eltern ihre Kinder in der Regel impfen lassen.“ Und das gegen folgende Krankheiten: Polio, Hepatitis B, Tetanus, Pertussis (Keuchhusten), Diphtherie, Masern und Hib (Haemophilus influenzae Typ b). Eine besondere Kampagne, um für Impfungen zu werben, führe die Kreisverwaltung nicht, betont Heimers. Sie sagt: „Wir informieren unsere Kinderärzte, klären bei Fragen auf. Wir machen also nichts anders als es anderswo geschieht. Wir haben hier eben gute Ärzte.“
Vertrauensbasis und Partnerschaft
Ein Vertreter dieser so gelobten Berufsgruppe ist der Gladbecker Kinderarzt Stefan Kusserow. Er sagt: „Grundsätzlich sind die Eltern, die in diese Praxis kommen, dem Thema ,Impfung’ gegenüber aufgeschlossen.“ Der Mediziner führt das darauf zurück, dass er und sein Team versuchten, „eine Vertrauensbasis und eine Partnerschaft aufzubauen.“ Kusserow setzt auf Aufklärung – und bekomme im Gegenzug zu hören: „Machen Sie bitte, was notwendig ist.“
Verantwortung für andere tragen
Den Anteil der Impfgegner in seiner Praxis schätzt er auf „deutlich unter zehn Prozent“. Er bekomme von ihnen häufig zu hören: „Hinter Impfungen steckt doch nur die Pharma-Lobby.“ Und: „Impfungen richten mehr Schaden an als dass sie nutzen.“ Der Experte sagt dazu: „Ich stehe nicht auf der Seite dieser Lobby, sondern auf der meiner Patienten.“ Er erklärt: „Das meiste Geld für Impfstoffe kommt aus der Pharma-Industrie, weil die Entwicklung der Seren viel Geld kostet.“ Es bestehe also das Problem der Finanzierung.
Das Argument „Durch Impfen werden zu viele Stoffe auf einmal in den Körper meines Kindes geleitet“ kontert Kusserow: „Durch einen einzigen Kuss werden tausende Keime weitergegeben.“ Ob sich Impfgegner darüber Sorgen machen? Der Arzt gibt zu bedenken: „Wenn man allein auf einer Insel lebt, fernab der Zivilisation, kann man ja gegen Impfen sein. Aber wir befinden uns hier in einer Sozialgemeinschaft, da geht’s um das Herden-Immunsystem.“ Deswegen trage jeder auch Verantwortung für andere.
Gefährliches Unwissen
Die Nachrichten aus dem Kreis Recklinghausen – und speziell aus Gladbeck – dürften Heidrun Thaiss freuen, denn die Leiterin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) kennt auch andere Zahlen, die Impflücken erkennbar machen. Sie stellte kürzlich fest: „Es gibt bei Impfungen eine besorgniserregende Entwicklung.“ Thaiss hat „in weiten Teilen der Bevölkerung ein gefährliches Unwissen über Masern“ beobachtet.
Dabei handele es sich keinesfalls um eine „Kinderkrankheit“, die man eben durchmachen müsse. Der Gladbecker Kinderarzt Stefan Kusserow weist darauf hin, dass Masern nicht ohne Grund beim Kreisgesundheitsamt meldepflichtig sind. Derzeit, so der Mediziner, gebe es in seiner Praxis keine solchen Krankheitsfälle.
Im schlimmsten Falle tödlich
Eine dramatische Spätfolge der Krankheit könne eine nicht behandelbare Gehirnhautentzündung sein, so Heidrun Thaiss, die selbst als Kinderärztin gearbeitet hat. Kusserow nennt erschreckende Zahlen: „Bei einem von 1000 Krankheitsfällen führen Masern zur Hirnhautentzündung. Von diesen Betroffenen sterben zehn bis 20 Prozent. In weiteren 20 bis 35 Prozent blieben Folgeschäden wie eine geistige Behinderung zurück.“ Der Kinderarzt erinnert sich an einen jungen Mann, der in Folge einer Masern-Erkrankung schwerstbehindert war.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat sich zum Ziel gesetzt, Masern auszurotten. Dafür müssten 95 Prozent der Bevölkerung geschützt sein, so Heidrun Thaiss. In Deutschland sei dieses Ziel noch nicht erreicht.