Gladbeck. . Bahtiyar Ünlütürk ist längst angekommen in Gladbeck.„Wir müssen ehrlicher über Integrationsprobleme reden“, sagt der Integrationsratsvorsitzende.
„Heimat ist, wo ich mich nicht erklären muss.“ Das sagt Bahtiyar Ünlütürk, der seit 50 Jahren in Gladbeck lebt, seit 37 Jahren hier arbeitet, Mitglied der IG BCE ist, vor 13 Jahren in die SPD eintrat und Mitglied im Ditib-Moscheeverein wurde. Seine Kinder haben studiert, sind hier ebenfalls sesshaft geworden, und erste Enkelkinder gibt es auch schon. „Gladbeck ist meine Heimat, gefühlt bin ich angekommen“, stellt der Sohn türkischer Zuwanderer im WAZ-Gespräch fest.
Erklären muss er sich häufig immer noch
Erklären muss er sich häufig aber immer noch. Und nicht nur sich selbst, sondern auch viele andere Gladbecker, die nicht Müller oder Dybowski heißen, sondern Öztürk oder Aydin. Denn als Vorsitzender des Integrationsrats sitzt Bahtiyar Ünlütürk häufig zwischen allen Stühlen – und muss in dieser Rolle immer wieder der Frage stellen, warum wir auch nach 56 Jahren noch immer über Integration diskutieren und darüber, wie es besser laufen könnte.„Wobei auch gesagt werden muss, dass es im Prinzip gar nicht so schlecht läuft. Wir nähern uns in vielen Dingen an, haben in der Bildung aufgeholt, und das wird positiv von der Bevölkerung wahrgenommen“, hebt Ünlütürk hervor.
„Aber wir jammern auch auf hohem Niveau – und zwar auf beiden Seiten“, spielt Ünlütürk den Ball an die „Biodeutschen“ und die Zuwanderer gleichermaßen. Wobei auch letztere „doch glücklich in Deutschland leben können, viele das aus Trotz aber nicht verstehen wollen und gern die Opferrolle annehmen“.
Aufgeheizte Debatte über Özil macht deutlich, dass es Redebedarf gibt
Doch nicht erst die aufgeheizte Debatte über Mesut Özils Pauschalschelte zu Rassismus und Ausgrenzung hat deutlich gemacht, dass es Redebedarf gibt und sich auch in Gladbeck die Frage stellt, warum so viele Menschen mit ausländischen Wurzeln hier so schwer heimisch werden. „Was haben wir verkehrt gemacht, dass ein 3000 Kilometer entfernter Präsident so viel Bedeutung hat, dass die Türkei nicht wenigen Menschen mit türkischen Wurzeln näher ist als das Land, in dem sie leben?“
Darauf gibt es nicht eine und auch keine einfache Antwort, weiß Ünlütürk. Ein Fakt ist: Zu spät sei erkannt worden, dass mit den Gastarbeitern nicht nur Arbeitskräfte kamen, sondern Menschen, die geblieben sind. Fakt sei auch, dass die zunehmend konservative islamische Weltanschauung aus der Türkei hier ‘rüber schwappe. Hinzu komme, dass, wenn etwas nicht gut läuft im Land, gern ein Sündenbock gesucht werde – und die Zuwanderer den Kopf hinhalten müssten, wenn es um Defizite bei der Integration gehe. Dabei sei das keine Einbahnstraße und pauschale (Vor-)Urteile passten sowieso nicht, denn es gebe sie ja gar nicht, die typischen Deutsch-Türken.
Die türkische Community ist keine Einheit
„Die türkische Community ist keine Einheit, sondern sehr vielschichtig“, sagt Ünlütürk. Und die Integration von Zuwanderern sei wie ein Flickenteppich, weil es noch immer kein Einwanderungsgesetzt gibt. Um die fehlenden Stücke zu ergänzen, „müssen wir offener miteinander diskutieren“, fordert er einen ehrlichen Dialog und nimmt auch die Politik in die Pflicht, sich in der Hinsicht zusammen zu raufen statt gegeneinander auszuspielen .
Was gar nicht hilft und den Vorsitzenden des Integrationsrats zunehmend sorgt, sind Hetze und Hass von Populisten wie den Mitgliedern der AfD, die Angst verbreiten Ünlütürk: „Sie argumentieren am Rand der Vernunft und richten irreparable Schäden an.“ Durch Ignoranz und Schweigen lasse sich das nicht überwinden. „Wir brauchen mutige Menschen, die aufschreien – auch auf Seiten der Migranten“, appelliert er an alle, sich das weitgehend friedliche Miteinander nicht kaputt machen zu lassen.
„Erklär dem Iraker bitte mal die Mülltrennung“
Denn wie Ünlütürk selbst sind viele Zuwanderer und ihre Kinder und Kindeskinder seit langem angekommen. Das zeigt auch dieses Beispiel, in dem der Vorsitzende des Integrationsrats um Hilfe gebeten wurde: „Stellen Sie sich vor, da ruft mich ein Türke an und beschwert sich, dass der Iraker in der Wohnung über ihm nach zehn Uhr abends viel zu laut ist. Und das mit der Mülltrennung sollte ich dem auch mal beibringen“, erzählt Ünlütürk mit verschmitztem Lächeln. Was er gemacht hat? „Ich hab dem Türken gesagt, dass er selbst mit dem Iraker reden soll.“ Denn nur so geht er, der ehrliche und offene Dialog.