Gladbeck. . Der Gladbecker Bergmanns- und Geschichtsverein Graf Moltke hält Erinnerungen lebendig. Am Herzen liegt den Mitgliedern die Arbeit mit der Jugend.
Was bleibt, wenn Ende des Jahres endgültig Schicht im Schacht ist? Überlebt das Kapitel Steinkohlebergbau im Ruhrgebiet nur in den Köpfen von Kumpeln? So soll’s nicht sein, hat sich der Bergmann- und Geschichtsverein Graf Moltke vorgenommen. Dessen Mitglieder wollen die Erinnerungen an diese Ära, die Stadtbild und Gesellschaft prägten, lebendig halten. Und auch die viel zitierten Tugenden wie bergmännische Solidarität, Geradlinigkeit und Zusammenhalt sollen nicht verschütt gehen.
Tradition und Solidarität
„Benannt haben wir uns nach der ersten Zeche in Gladbeck“, erzählt Walter Hüßhoff. Der heute 69-Jährige und 15 seiner Kollegen haben den Verein zum Jahreswechsel 2007/2008 ins Leben gerufen – alles „reine Moltkeraner“. Anno 1963 hat Hüßhoff auf der Anlage Graf Moltke angefangen. Aus allen Himmelsrichtungen wanderten seinerzeit Menschen ins Ruhrgebiet, um mit der Maloche unter Tage ihre Kohle zu verdienen. Der „Ur-Gladbecker“ Hüßhoff erzählt: „Viele kamen aus dem Osten zu uns, aber auch aus Österreich und Bayern. Sogar Niederländer gab’s hier!“ Später folgten etliche andere Nationalitäten, die in Gladbeck eine neue Heimat fanden. „Erst 1966 kamen die ersten Türken“, sagt der ehemalige Bergmann.
Zuwanderung verändert Gesellschaft
Er stellt fest: „Durch diese Zuwanderung hat sich die ganze Gesellschaft verändert.“ Aber was die „Neu-Gladbecker“ auch hinter sich ließen: „Auf der Zeche waren wir alle gleich. Wir hatten ein gemeinsames Ziel: Kohle fördern und gesund wieder über Tage kommen.“ Um dies zu erreichen, „musste sich ein jeder anpassen“: „Bestehen konnten man nur in der Solidargemeinschaft. Das hat uns geformt.“
Die Kumpel, so erzählt der 69-Jährige, identifizierten sich mit und über Arbeit: „Wir waren immer eine Familie, hatten unsere Netzwerke.“ Diese Wurzeln haben bis heute Bestand, so dass Hüßhoff mit dem Brustton der Überzeugung sagt: „Heimat ist, wo man seine Leute hat, wo man untereinander fragen kann: Weißte noch . . .?“
Und dieses Wissen, diese Erinnerungen, geben die Vereinsmitglieder gerne an die nächsten Generationen weiter. Wenn seine zwei Enkelinnen ihn auffordern: „Oppa, sag’ mal, wie war das früher“, lässt sich Hüßhoff nicht lange bitten. Und wenn kein Kind nachfragt? „Dann füllen wir diese Lücke“, so Walter Hüßhoff. Er und seine Vereinskollegen berichten in Schulen, besuchen mit jungen Menschen historische Orte und wandeln mit ihnen auf den Spuren der Vergangenheit, wenn sie den Bergbauwanderweg gehen. Den hat der Verein initiiert, um die Geschichte vor der eigenen Haustür präsent zu machen. Hüßhoff: „Wichtig ist, die Heimat und das Umfeld zu erklären, damit sich die Jugend – und gerade die mit Migrationshintergrund – mit ihrer Stadt identifizieren kann.“ Und dazu gehört auch eine berufliche Perspektive. Denn: „Ohne Vergangenheit keine Zukunft, ohne Zukunft hat man nichts.“ Und letzteres sei unmöglich ohne Bildung.
HINTERGRUND
Der Bergmanns- und Geschichtsverein Graf Moltke ist einer von 19 ehemaligen RAG-Geschichtsvereinen, der REVAG. Sie wurde Ende 2015 aufgelöst.
Deren Mitgliedsvereine gehören seitdem der DMT-Gesellschaft für Lehre und Bildung an. Ihre Aufgaben: Aus- und Weiterbildung, Forschung und Pflege des bergbaulichen Kulturguts.
Dem hiesigen Bergmanns- und Geschichtsverein gehören 38 Mitglieder zwischen 52 und 90 Jahren an. Beim Gros handelt es sich um ehemalige Bergleute. Aber auch Mitglieder, „die nie auf Zeche gearbeitet haben, fühlen sich bei uns gut aufgehoben“, so Hüßhoff.
Wie einst die Bergmänner sollen sich auch junge Menschen mit ihrer Arbeit identifizieren. Da arbeitet der Verein eng mit der Erich-Fried-Schule zusammen, um den Jugendlichen einen Weg in Beruf und Ausbildung zu ebnen. In Arbeitsgruppen setzen sich die Hauptschüler handfest mit Themen, zum Beispiel alternative Energiegewinnung, auseinander. „Aus Solidarität und Tradition heraus wollen wir helfen“, sagt Hüßhoff, „wir hatten die Chance, als Berglehrlinge Geld zu verdienen und uns weiter zu bilden. Jetzt geben wir etwas zurück.“ Und wenn die Vereinsarbeit fruchtet, bleibt auch nach dem „Kohle-Aus“ etwas mehr als vergilbte Fotos und Anekdoten: das Bewusstsein für die eigene Geschichte.