GLADBECK. . Stadtarchivarin Katrin Bürgel will gerade jungen Menschen den Zugang zur Gladbecker Lokalhistorie öffnen und zu eigener Forschung motivieren.

Dieses Erlebnis bleibt Katrin Bürgel – und vermutlich auch allen Beteiligten – unvergesslich: das Schülerprojekt „Gladbeck unterm Hakenkreuz. Nie wieder!“. Die Stadtarchivarin sagt: „Die szenische Dokumentation war ein Highlight. Die Schüler haben Geschichte im wahrsten Sinne des Wortes erlebt. Am Ende steckten sie noch eine Minute in ihren Rollen, bevor sie strahlten.“ Nachfahren der Opfer in der Zeit der Nationalsozialisten saßen im Publikum und sprachen mit den Protagonisten. Auf diese Weise bekamen Jugendliche einen greifbaren Zugang zu historischen Ereignissen vor Ort. Etwas ganz anderes, als wenn sie in Schulbüchern über Geschehnisse in Berlin oder München lesen.

Für die Stadtarchivarin sind solche Projekte – neben Führungen, Ausstellungen und Aktionen wie Geocaching – wichtig, denn sie bringen das Gestern und den modernen Menschen zusammen. Das Schülerprojekt zeige: Geschichte lebt, aus Geschichte kann man Lehren ziehen. „Das Archiv hat einen Bildungsauftrag“, sagt Bürgel. Die 40-Jährige hütet seit September 2009 das „Gedächtnis Gladbecks“: in Akten, Chroniken und anderen Aufzeichnungen, auf alten Fotos, Landkarten und Postkarten. Darauf dürfen alle, die Interesse an Stadthistorie haben, zurückgreifen. Die WAZ sprach mit Katrin Bürgel über die Aufgaben des Stadtarchivs.

WAZ: Haben Sie den Eindruck, dass Geschichte im Schulunterricht zu kurz kommt, der Fokus eher auf naturwissenschaftlichen Fächern liegt?

Katrin Bürgel: Schon zu meiner Schulzeit hatte ich Geschichte als Fach nur alle zwei Jahre auf dem Stundenplan stehen – im Wechsel mit Erdkunde. Und das ist, so scheint es mir wenigstens, nicht besser geworden.

Öffentlichkeit

Rund 350 Besucher registrierte das Stadtarchiv im vergangenen Jahr. Katrin Bürgel: „Das ist für uns gut.“ Darunter waren 75 Schüler. Sie informierten sich in der Regel klassenweise über Arbeit und Zweck des Archivs.

Knapp 600 Besucher sahen an drei Terminen „Gladbeck unterm Hakenkreuz. Nie wieder!“ Die szenische Lesung „Auf ein frohes Wiedersehen, liebe Mutter“ (in Kooperation mit der VHS) sahen 70 Gäste.

Welche Rolle übernimmt in dieser Situation das Stadtarchiv?

Ein Ziel ist, Kinder und Jugendliche zu eigener Forschung zu motivieren, historische Kenntnisse anhand der Lokalgeschichte zu vertiefen bzw. die „weit entfernte“ Geschichte mit Originalquellen zu konkretisieren und erfahrbar zu machen. Wir vermitteln nicht nur Fakten, sondern auch Recherchetechnik, Quellenkritik, das Lesen von Handschriften. Es reicht nicht, einfach etwas aus dem Internet abzuschreiben.

Warum liegt es Ihnen am Herzen, dass sich junge Leute mit der Historie ihrer Stadt beschäftigen?

Auf diese Weise lässt sich die eigene Identität stärken und das historisch-politische Bewusstsein schärfen. Man muss die Vergangenheit kennen, um die Gegenwart zu verstehen. Wer sich mit seiner Stadt identifiziert, engagiert sich auch dafür.

Was heißt das für Gladbeck?

Ein großes Thema ist hier der Bergbau. Viele junge Menschen wissen gar nicht mehr, was das ist. In diesem Zusammenhang spielt auch das aktuelle Thema Migration eine große Rolle. Viele Bergleute sind aus anderen Regionen Deutschlands und anderen Ländern nach Gladbeck gekommen, um auf den Zechen zu arbeiten.

Bei welcher Altersgruppe setzen Sie an?

Schon bei den ganz jungen Schülern. In diesem Jahr hatten wir beispielsweise die Kulturstrolche der Regenbogenschule zu Gast. Wir haben den Viertklässlern erklärt, was wir hier machen. Wir bauen ein Kinderarchiv auf. Die Mädchen und Jungen haben dafür Bilder von ihrem Lieblingsspielzeug, ihrem Kinderzimmer und ihrer Umgebung gemalt. Die Bilder werden archiviert. So werden Kinder Teil der Gladbecker Geschichte und man wird später sehen, was sich im Laufe der Zeit geändert hat.

Nutzen Schüler und Studenten das Stadtarchiv?

Ja, zum Beispiel für Referate und Facharbeiten. Häufig geht’s dabei um Themen wie Nationalsozialismus, Strukturwandel, Bergbau und –sehr, sehr oft – ums Gladbecker Geiseldrama – alles ganz lokal.