Bottrop/Gladbeck.. Der Sinn von Geschwindigkeits-Kontrollen ist oft umstritten. Die Polizei beteuert: Hinter der Standortwahl stecke immer eine Strategie.
An Tempokontrollen der Polizei scheiden sich die Geister. Die Meinungen reichen von „absolut berechtigt“ bis zu „fiese Abzocke“. Die Polizei selbst hat eine klare Strategie: Kein Autofahrer, der zu schnell unterwegs ist, soll sich in Sicherheit wiegen dürfen.
Fast jeder Verkehrsteilnehmer kennt Stellen, die ihn fragen lassen: Warum steht die Polizei ausgerechnet hier? Weit und breit ist keine Schule und kein Kindergarten in Sicht, die Straße ist schnurgerade, das Gefährdungspotenzial scheint gering, das Tempolimit unsinnig.
Überall wird geblitzt
„Wenn wir nur vor Schulen, Kindergärten und Altenheimen kontrollieren würden, wüssten die Autofahrer ja im Umkehrschluss, dass sie an allen anderen Stellen ungestraft Gas geben könnten“, sagt Michael Pillipp, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Recklinghausen.
Die Behörde setze deshalb auf eine flächendeckende Geschwindigkeitsüberwachung. Denn wenn potenzielle Temposünder ständig damit rechnen müssten, beim Zuschnellfahren erwischt zu werden, gingen sie eher vom Gas, so Pillipps Rechnung.
Den Vorwurf, dass die Kontrollstellen teilweise willkürlich und unter finanziellen Gesichtspunkten ausgewählt würden, weist die Polizei zurück. Die Örtlichkeiten würden nach bestimmten Parametern festgelegt, sagt Michael Pillipp. Die Unfallhäufigkeit spiele dabei eine Rolle, aber auch die Erkenntnis, dass dort oft gerast werde. Auch berücksichtige die Polizei Wünsche der Bevölkerung.
200 Unfälle aufgrund erhöhten Tempos
2016 ereigneten sich auf den Straßen der Kreispolizeibehörde (zuständig für den Kreis Recklinghausen und Bottrop) rund 200 Unfälle, die nachweislich auf überhöhte Geschwindigkeit zurückzuführen waren. Ihr Anteil an der Gesamtzahl aller Verkehrsunfälle (inklusive Parkplatzrempeleien) erscheint mit knapp einem Prozent unspektakulär. Es sind jedoch die schlimmen Folgen, die aus der Sicht der Polizei zum Handeln zwingen.
Die Opferzahlen entwickeln sich jedenfalls deutlich überproportional, wie der Unfallstatistik 2016 zu entnehmen ist. Die Polizei registrierte zwei Tote (das sind 15 Prozent an der Gesamtzahl der Verkehrstoten im Vest), 51 Schwerverletzte (elf Prozent) und 134 Leichtverletzte (neun Prozent).
Zehn km/h entscheiden über Leben und Tod
Tatsächlich kann schon ein geringer Tempoverstoß den Unterschied zwischen (Über-)Leben und Tod ausmachen, wie folgende Rechnung zeigt: Wer mit 50 km/h vor einem Hindernis noch zum Stehen käme, würde trotz Vollbremsung mit einer Wucht von 40 km/h auf dieses aufprallen, wenn er nur zehn Stundenkilometer schneller unterwegs wäre.
Ein Mensch hat in diesem Fall kaum eine Chance. Welche Kräfte bei einem Unfall wirken, zeigt ein anderes Beispiel: Beim Zusammenstoß mit 50 km/h wird ein Mensch mit der Wucht nach vorne katapultiert, die dem 25-fachen seines Körpergewichts entspricht. Das ist vergleichbar mit dem Sturz aus dem vierten Stock.
Bei den beiden tödlichen Unfällen im Jahr 2016 lag die Aufprallgeschwindigkeit laut Gutachten erheblich über 100 km/h, obwohl nur 70 erlaubt waren. In Haltern wurde dabei ein sechsjähriges Mädchen von einem Auto auf freier Strecke erfasst. In Marl raste ein Fahranfänger nach einem Überholmanöver in das Auto eines 89-Jährigen. Der Senior starb an den Unfallfolgen.