Gladbeck. Der Geschäftsführer des heutigen Chemiewerkes Ineos Phenol bestätigt den Verdacht eines Störfalles in der Nachkriegsproduktion der Phenolchemie.
- Die Richtwerte zur Beurteilung eines Grundwasserschadens werden sehr deutlich überschritten
- Anlieger vermuten, dass die entdeckten Chemie-Altlasen auch aus Nachkriegsproduktion stammen müssen
- Der Geschäftsführer des Phenolwerkes bestätigt, dass 1968 Cumol aus einer undichten Leitung geflossen ist
Die jetzt bekannt gewordene Belastung von Boden und Grundwasser mit giftigen Chemikalien auf dem Betriebsgelände der Ineos Phenol GmbH sorgt private Anlieger in Zweckel und Rentfort-Nord. Die Recherche der WAZ ergab, dass die Giftfunde nicht nur Altlasten aus der IG Farben-Produktion sowie des Zechenbetriebs während und vor dem II. Weltkrieg sind. Giftstoffe sind auch durch einen Störfall im Jahr 1968 in die Umwelt gelangt und offenbar tief in den Boden eingedrungen.
Der Kreis Recklinghausen hatte als Bodenschutzbehörde jetzt Ineos-Anwohner im Bereich der Straßen Huyssenstraße, Schanzenhof, Dechenstraße, Schanzenheide, Frentroper Straße, Hagelkreuzstraße, Frielinghausstraße, Husmannstraße, Uechtmannstraße, Bellmannstraße und Forststraße in Anschreiben über die Giftfunde informiert.
Anwohner werden um Mithilfe gebeten
Zudem werden die Anwohner gebeten, vorhandene Brauchwasserbrunnen im Privatgarten zu melden, damit dort Wasserproben zur Analyse gezogen werden können. Damit soll festgestellt werden, ob sich die Ende 2016 entdeckten Giftstoffe der chlorierten Kohlenwasserstoffe, perfluorierten Tenside und Cumol über die Werksgrenzen hinaus durch das nach Westen fließende Grundwasser im Boden ausgebreitet haben.
Anwohner hatte im besonderen die Cumol-Meldung aufhorchen lassen, dass die Giftstoffe nicht nur Altlasten aus Kriegs- und Vorkriegs-Anlagen sind, sondern auch auch aus moderner Phenol-Produktion stammen müssten. Besorgte Anrufer meldeten sich dazu bei der WAZ.
Phenolproduktion mit Cumol erst 1954 begonnen
Es ist richtig, dass die Produktion mit Cumol erst in den 1950er Jahren aufgenommen wurde. Die Rüttgerswerke AG und die Bergwerkgesellschaft Hibernia haben 1952 den gemeinsamen Bau einer Synthesephenolanlage auf Erdölbasis beschlossen, an der sich auch die Harpener Bergbau AG und die Scholven Chemie AG beteiligten. Produziert wird nach dem neuen, 1944 entwickelten Cumol-Verfahren. Der erste von der Phenolchemie produzierte Kesselwagen rollte 1954 vom Werkshof.
Auf Anfrage der WAZ bestätigt Ineos-Geschäftsführer Joachim Pieper, dass nach Bekanntwerden der Grundwasserbelastung eingeleitete Recherchen in den Firmenunterlagen ergeben hätten, „dass sich 1968 eine Undichtigkeit in einer Leitung unseres Vorgängers, der Phenolchemie, ereignet hat. Dadurch ist vermutlich Cumol in den Boden eingedrungen, der dann offensichtlich nur unvollständig gereinigt und entsorgt worden ist“.
Ineos Phenol nimmt die Sorgen der Anwohner ernst
Der Firmenchef versichert, „wir nehmen die Sorgen der Anwohner ernst“. Er bekräftig dazu aber auch, „dass keine der Verunreinigungen aus der modernen Produktion von Ineos Phenol stammt“, die 2001 an Stelle der Phenolchemie neu firmierte. „Wir haben ein umfangreiches zertifiziertes und behördlich eng überprüftes Sicherheitssystem.“ Sollten beispielsweise Undichtigkeiten an Leitungen auftreten, würden die Chemikalien in Sicherheitswannen aufgefangen und wieder der Anlage zugeführt. Pieper: „Auch die Abgase aus der Produktion werden über Filteranlagen gereinigt, so dass keine Schadstoffe in die Umgebungsluft gelangen können.“
Die Belastung des Grundwassers mit krebserregenden und giftigen Chemikalien ist bei Bohrungen im nordwestlichen Firmenareal der Ineos Phenol im Bereich der Frentroper Straße festgestellt worden.
Die Richtwerte werden sehr deutlich überschritten
Auf Anfrage der WAZ teilt die Bodenschutzbehörde des Kreises mit, welche Schadstoffkonzentrationen festgestellt wurden: Cumol bis maximal 45 000 Mikrogramm pro Liter (µg/l), leichtflüchtige Chlorkohlenwasserstoffe (z.B. Lösungsmittel) bis maximal 7700 µg/l und perfluorierte Tenside (PFT) bis maximal 26 µg/l.
Damit überschreiten die Ergebnisse deutlich die Prüfwerte, die von der Bundesbodenschutzverordnung zur Beurteilung eines Grundwasserschadens herangezogen werden, wie auch die Geringfügigkeitsschwellenwerte der Länderarbeitsgemeinschaft Wasser.
Keine Grenzwerte für Grundwasser
Diese liegen für Cumol bei 20 Mikrogramm/Liter, für leichtflüchtige Chlorkohlenwasserstoffe bei 10 µg/l und für perfluorierte Tenside bei 0,1 µg/l.
Svenja Küchmeister von der Kreisverwaltung erklärt aber auch, dass es „für Grundwasserbelastungen keine Grenzwerte gibt“. So würden die Prüfwerte der Bundesbodenschutzverordnung wie auch die Geringfügigkeitsschwellenwerte nicht über eine Gefährdung für Grundwassernutzer abgeleitet, „sondern sie definieren Werte, bei deren Überschreitung man von einer schädlichen Verunreinigung“ des Grundwasserleiters spricht“.
Bodenschutzbehörde informiert die Brunnenbesitzer
Diese Werte seien „sehr niedrig gewählt“. Überschreitungen gebe es so innerhalb des Ruhrgebiets an sehr vielen Stellen. Küchmeister: „Es muss klar gesagt werden, dass aus einer Überschreitung dieser Werte keine Sanierungserfordernis abzuleiten ist, denn für Brauchwassernutzungen sind keine Grenzwerte festgelegt.“
Die um Mithilfe gebetenen privaten Besitzer von Brauchwasserbrunnen würden gleichwohl „nach der Untersuchung über ihre Ergebnisse informiert“. Darüber hinaus werde die Bodenschutzbehörde, „falls notwendig, auf Grundlage der Ergebnisse Empfehlungen zum Umgang mit dem Brauchwasser aussprechen“.