Gladbeck. . Kaum einer kennt sich mit Gründerzeitmöbeln so gut aus wie der Gladbecker Wilfried Reuer. Man nennt ihn deshalb auch den „Gründerzeit-Papst“.
Ach, diese Uhr! Wilfried Reuer (57) sieht sie jeden Tag. Dennoch geht ihm das Herz jedes Mal aufs Neue auf beim Blick auf das Prachtexemplar einer Standuhr neben dem Schreibtisch.
Satt gesehen hat er sich daran so wenig wie an dem anderen Prunkstück auf der Kommode. „Auch eine Lenzkirch“, nennt er einen Namen, der das Herz eines jeden Kenners höher schlagen lässt. Solche Uhrwerke in formschönen, überaus zierreichen Holzgehäusen sind wahre Klassiker aus der Gründerzeit. So wie die mächtigen Buffets und Kleiderschränke aus dunklem Nussbaum, Tische und Sekretäre mit kunstvollem Furnier sind sie alle Zeugnis einer vergleichsweise kurzen, aber intensiven Stilepoche von 1880 bis 1895.
"Den Reuer nachmachen, das geht nicht"
Darin kennt sich in Deutschland und darüber hinaus kaum einer so gut aus wie der Gladbecker Händler, dem nicht zu Unrecht der Beiname „Gründerzeit-Papst“ verpasst wurde. 40 Jahre lang frönt er bereits seiner Leidenschaft, hat darauf ein Berufsleben als Händler antiker Möbel begründet und sich mit seinem Fachwissen in der Branche einen Ruf erworben, den ihm so schnell keiner streitig macht.
„Den Reuer nachmachen, das geht nicht“, sagt Reuer über Reuer. Und ist damit, um im Fachjargon zu bleiben, ebenso ein Unikat wie die meisten der Möbel, die vom Gewerbegebiet Brauck aus an Sammler und Liebhaber in ganz Europa verkauft werden.
Die Liste der privaten Stammkunden ist lang
Die Gladbecker Adresse, heutzutage in der Regel die Internetadresse, haben die namhaften Auktionshäuser und Händler parat, wenn sie nach besonderen Stücken gefragt werden oder diese verkaufen wollen. Umgekehrt kennt auch Wilfried Reuer die speziellen Häuser, denen er seine Möbel anbieten kann. Und die Liste der privaten Stammkunden, die regelmäßig bei ihm nachfragen, ist lang.
Denn wenn auch der Antiquitätenhandel im Allgemeinen seit einiger Zeit auf dem Rückzug ist, auch bei den Gebrüdern Reuer nicht mehr zum Hauptgeschäft gehört, sind immer noch, und aktuell seit einigen Jahren sogar wieder verstärkt, die prunkvollen, oft in renommierten Tischlerwerkstätten gefertigten Gründerzeitmöbel gefragt. Dabei möchte man meinen, der Bestand aus einer gerade ‘mal 15 Jahre währenden Epoche wäre endlich, also irgendwann ausverkauft.
Doch so läuft dieses Geschäft nicht. Zum einen hat für echte Sammler der Hin- und Hertausch der Liebhaberstücke seinen besonderen Reiz, zum anderen „kommen gerade jetzt wieder mehr Möbel auf den Markt“, erklärt Wilfried Reuer. Weil die Erben solcher Nachlässe die eigenen Designermöbel bevorzugen, den Wert der guten Möbelstücke der Eltern oder Großeltern aber erkennen und diese verkaufen. Das war in den 70er und 80er Jahren anders, da landete so manches echte Gründerzeit-Büffet auf dem Sperrmüll.
Am stärksten nachgefragt sind Gründerzeit-Möbel aktuell übrigens im Osten Deutschlands. Dort wurden die alten Villen aus dem 20. Jahrhundert – oft dank der großzügigen Fördermittel – nach der Wende zwar schön restauriert, doch die passenden Möbel dazu gibt es nicht mehr.
Den Gründerzeitstil salonfähig gemacht
Dass die Epoche der Gründerzeit in der Antik-Möbelbranche heute überhaupt einen Ruf genießt, dazu hat Wilfried Reuer einen nicht unerheblichen Teil beigetragen. Gemeinsam mit dem anderen „Papst“ der Branche, dem Kunsthistoriker Professor Rainer Haaff, hat er den anfangs in der Antiquitätenbranche nicht wirklich wahrgenommenen Stil salonfähig gemacht. Wozu auch etliche Publikationen beigetragen haben, darunter ein Standardwerk des Professors, das nun in fünfter Auflage erschienen ist und quasi die Bibel für jeden Händler und Auktionär darstellt.
Das fast 600 Seite dicke Werk im DIN-A-4 Format listet so ziemlich jedes Gründerzeit-Möbelstück auf, das je durch Händlerhände gegangen ist oder sich bereits in Museen befindet. Alle Stücke wurden von einer Expertenjury, der Wilfried Reuer angehört, begutachtet und bewertet.
Dem Antikhandel Gebrüder Reuer und dem „Pionier Wilfried Reuer“ ist ein extra Kapitel gewidmet, das vom Werdegang des Gladbecker Familienunternehmens berichtet. Da erfährt man dann, was Wilfried Reuer im Gespräch nochmals bestätigt: Die Begeisterung für die Möbel der Gründerzeit, die er bei seinen Großeltern sah, hatte schon den 14-Jährigen erfasst. Die ersten alten Schätzchen hat er mit dem Vater gemeinsam restauriert und aus einer Garage heraus verkauft. Mit knapp 18 eröffnete er den ersten Laden in Gladbeck an der Friedenstraße, später dann mit dem Bruder zusammen ein großes Geschäft mit Lager an der Rentforter Straße. Ende der 90er Jahre zogen die Gebrüder als erste in den neuen Gewerbepark Brauck und bauten auf dem ehemaligen Holzlagerplatz der Zeche eine Lagerhalle – der Firmensitz bis heute.