Gladbeck. Moscheegemeinde an der Wielandstraße führt den Ruf des Muezzin ein. Stadt betont das Grundrecht auf freie Ausübung der Religion.

Der Ruf des Muezzin wird ab dem 20. April einmal täglich vom Minarett der DITIB-Moschee an der Wielandstraße erschallen, um die Muslime zum Gebet zu rufen. In einer gemeinsamen Pressekonferenz gingen der Moschee-Vereinsvorsitzende Nadir Kahraman, Bürgermeister Ulrich Roland und der Erste Beigeordnete Rainer Weichelt gestern mit dem Thema an die Öffentlichkeit.

Im Umfeld der Moscheegemeinde war diese Absicht seit einigen Wochen bekannt, und hat für Diskussionen unter Muslimen gesorgt. Nicht alle stimmen uneingeschränkt zu. Cuma Cetin, Mitglied im WAZ-Leserbeirat, hätte es für angemessener gehalten, den Muezzin-Ruf nur zum Freitagsgebet erklingen zu lassen. Der tägliche Ruf schüre diffuse Ängste vor einer Ausbreitung des Islams, ist seine Befürchtung. Fingerspitzengefühl in der Kommunikation vermissen auch Vertreter der christlichen Kirchen (siehe Seite 2).

Nadir Kahraman dagegen glaubt, dass die Moscheegemeinde mittlerweile ein so gutes Einvernehmen und Vertrauensverhältnis mit der Nachbarschaft aufgebaut hat, dass der Tag für den Ruf des Muezzin gekommen sei. Diesen Wunsch habe man seit dem Bau der Moschee (1999) gehegt.

Erklingen wird der Ruf des Muezzin per Lautsprecher mittags in der Zeit von 12 bis 13 Uhr für die Dauer von maximal fünf Minuten. Er wird von geschulten Gemeindemitgliedern gesungen, so wie es im Islam üblich ist. Darüber hinaus wird zu den großen muslimischen Festen, dem Opfer- und dem Zuckerfest, sowie in der Ramadanzeit statt am Mittag am Abend vor 22 Uhr, ebenfalls zum Gebet gerufen. An christlichen Feiertagen schweigt der Muezzin. In Abstimmung mit dem städtischen Ordnungsamt wurde die Lautstärke auf 55 Dezibel festgelegt.

Auch interessant

Einer amtlichen Genehmigung bedarf die Moscheegemeinde übrigens nicht. Das Recht auf freie Religionsausübung für alle Religionsgemeinschaften ist im Grundgesetz verankert. Einzig der Lärmschutz muss gewährleistet sein.

Natürlich weiß der Bürgermeister, dass diese Entwicklung für die christliche Gesellschaft neu und sicher gewöhnungsbedürftig ist, er sieht dies aber als eine logische Konsequenz der Entwicklung der Gladbecker Bevölkerung. „Fast ein Drittel sind muslimischen Glaubens, deshalb ist es folgerichtig, dass sich die Lebenswirklichkeit in der Religionsausübung abbildet.“

Dabei sei der einmalige Ruf zur Mittagszeit die Minimallösung, so Rainer Weichelt, stelle aber auch ein Stück Normalität her. Nadir Kahraman, Stellvertreterin Figen Güdül-Turpcu und Imam Kasim Ogan glauben, dass sich die Mitglieder der Moscheegemeinde damit „hier im fremden Land ein Stück mehr zuhause fühlen werden.“

Kritik der Christlichen Gemeinden 

Die Stadtverwaltung wie die muslimische Ditib-Gemeinde haben die christlichen Gemeinden der Stadt nicht vorab informiert, den öffentlichen Gebetsruf des Muezzin in Gladbeck einführen zu wollen. Dies indirekt, erst über die Information der Presse zu erfahren, stößt sowohl auf katholischer wie auf evangelischer Seite auf deutliche Überraschung und Kritik.

Die Stadtbevölkerung bei einem so hochsensiblen Thema durch breite Öffentlichkeitsarbeit im Vorfeld mitzunehmen, hätte er „für weiser gehalten“, sagt Superintendent Dietmar Chudaska. Das bewertet Christa Schniering ebenso: „Statt einer Ad hoc-Aktion wäre es sinnvoller gewesen, das Thema vorab in gemeinsamen Gesprächen zu klären“, so die Beauftragte für den christlich-islamischen Dialog der Pfarrei St. Lamberti.

Propst André Müller war für eine Stellungnahme auch telefonisch nicht zu erreichen. Er hält sich momentan zu Exerzitien mit dem Pastoralteam im Sauerland auf.

Fehlendes Fingerspitzengefühl

Das Recht der freien Religionsausübung werten beide Gemeindevertreter als hohes Gut unseres Staates. Dies stehe auch nicht zur Debatte, vielmehr gehe es um fehlendes Fingerspitzengefühl. Erfahrungen auch in umliegenden Städten hätten gezeigt, dass das Thema Gebetsruf oft ein mühseliger Prozess sei, „da damit auch Ängste verbunden sind“, so Chudaska. Da hätten gerade auch die Verantwortlichen innerhalb der muslimischen Gemeinde bessere Kommunikationsarbeit leisten und um Akzeptanz werben können, indem sie auch die Butendorfer-Nachbarschaft aufklären, „in welcher Art genau sie ihr Recht wahrnehmen wollen“. Für den interreligiösen Dialog in Gladbeck hätte er sich gewünscht, so der Superintendent, „dass eine solche Entscheidung im Rahmen einer breiten öffentlichen Information und Diskussion erfolgt“.

Dass dieser gemeinsame Austausch „leider nicht passierte“, erstaunt auch Pfarrgemeinderätin Christa Schniering. Wenn der Ruf des Muezzins in Butendorf ertönen solle, sei nachvollziehbar, dass die Nachbarschaft im Vorfeld Interesse habe zu erfahren, zu welcher Zeit, wie oft und in welcher Lautstärke dies am Tag erfolgen solle.

Überrascht ist die Dialogbeauftragte auch, dass bei ihren zahlreichen offiziellen Treffen mit Vertretern der Ditib-Gemeinde der Wunsch, den Gebetsruf einzuführen, nie direkt angesprochen worden sei. Ob der Glaubensruf auch eine konservativere Ausrichtung der Ditib-Gemeinde bedeute? Das wolle sie nicht beurteilen, sagt Christa Schwiering, das aktuelle Handeln mache es aber wohl nicht leichter „im Dialog zu bleiben“.

Wenig Möglichkeit zur Einschränkung 

Nach dem Grundgesetz ist die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses unverletzlich und die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet (Art. 4 Abs. 1 u. 2). Das Bundesverfassungsgericht versteht die Religionsfreiheit als vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht, auf das sich auch Muslime beziehen können, wenn sie den Gebetsruf des Muezzin wünschen.

Verfassungs- und Kirchenrechtler Prof. Dr. Stefan Muckel (Uni Köln) sieht auch wenig Möglichkeiten zur Einschränkung. Das im Umfeld der Moschee zu hörende Glaubensbekenntnis dürfe im Regelfall ebenso wenig als eine zum Nachteil der Nachbarn ausgeübte Religionsfreiheit bewertet werden können, wie eine Beeinträchtigung des Grundrechts auf Schutz der Wohnung oder des Eigentums, sagt Muckel. Und das Recht auf körperliche Unversehrtheit könne nur zur Rede stehen, „wenn der Ruf zur Nachtzeit ertönen soll“.

Wird der Gebetruf mit einer Lautsprecheranlage verstärkt, könne es Vorbehalte im Sinne von Lärmbelästigung oder Gefährdung des Straßenverkehrs durch Ablenkung geben. Wenn dies aber durch zeitliche Beschränkungen oder in der Lautstärke (Dezibelgrenzen) geregelt sei, sieht Muckel keine behördliche Handhabe, „um gegen den Ruf vorzugehen“.mes

Der islamische Gebetsruf übersetzt: „Allah ist der Allergrößte. Ich bezeuge, dass es keinen Gott außer Allah gibt. Ich bezeuge, dass Muhammad der Gesandte Allahs ist. Kommt her zum Gebet. Kommt her zum Heil. Allah ist der Allergrößte.“