Gelsenkirchen. Gelsenkirchen. Als frühere DDR-Bürgerin war Gudrun Müller in zweifacher Hinsicht eine Ausnahme. Sie durfte einmal im Jahr in den Westen reisen und sie war selbstständige Unternehmerin.
Als frühere DDR-Bürgerin war Gudrun Müller in zweifacher Hinsicht eine Ausnahme. Sie durfte einmal im Jahr in den Westen reisen und sie war selbstständige Unternehmerin. „Weil man Vater aus Buer gebürtig war, hatte ich als 47-Jährige schon damals die Möglichkeit, besuchsweise in die BRD zu reisen“, sagt die 72-Jährige, die heute in Gelsenkirchen wohnt.
Im Arbeiter- und Bauernstaat führt Gudrun Müller zusammen mit ihrem Mann den „Lkw- und Busbetrieb Müller“ in Schlagenthin in Thüringen. Ein kleines Fuhrunternehmen mit drei Lkw und fünf Bussen. Die Lastwagen sind ausrangierte Lkw der Nationalen Volksarmee, die Busse („Marke Ikarus“) kommen aus der CSSR. „Jedes Ersatzteil musste beantragt werden, der Sprit war streng rationiert“, erzählt Müller. „Waren die Spritmarken alle, ruhte der Betrieb und wir haben nichts verdient.“ Die Lkw transportieren „Goldstaub“ – so werden die für den Durchschnitts-DDR-Bürger nicht erhältlichen Waschbecken, Kloschüssel und Badewannen genannt – und wenn die „volkseigenen Kapazitäten“ nicht ausreichen, muss ihr Mann auch an den Wochenenden Milch oder Gasflaschen nach Bitterfeld transportieren. Mit den Bussen fährt Müller Mitglieder des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) in den Urlaub.
Was dem Volke dient, gehört in Volkes Hand - das ist die Staatsidee der DDR. Das erfahren auch Müllers. Ihr selbst gebautes Haus darf die Familie zunächst nicht beziehen. Eine fremde Familie zieht ein – umgesiedelt aus dem Zonenrandgebiet. Sieben Jahre lang kämpft das Ehepaar um ihr Haus. Vom Bürgermeister bekommen sie die Antwort: „ Wir leben in einem sozialistischen Staat, da gehört alles allen.“
Verwandte besorgten die Wohnung
Die harte Arbeit, die vielen Schikanen, die Mangelwirtschaft, die latente Angst, für eine kritische Bemerkung verhaftet zu werden – all das lässt die Müllers zu der Entscheidung kommen, die DDR zu verlassen. 1989 beantragt Gudrun Müller ein Visum für sich und ihren Mann. Damals brodelte es schon in der DDR: Montagsdemo, „Wir sind das Volk“-Rufe. „Ich rechnete nicht damit ein Visum zu bekommen.“ Doch der Glücksfall tritt ein.
Am 30. Oktober 1989 kehrt das Ehepaar der DDR den Rücken und zieht nach Gelsenkirchen, wo die Verwandten eine kleine Wohnung an der Liboriusstraße angemietet haben. Am 9. November 1989 verkündet SED-Politbüromitglied Günter Schabowski die Öffnung der Grenzen. „Da saßen wir vor dem Fernseher in unserer neuen Wohnung, haben geweint und Sekt getrunken – aus Freude, aber auch aus Wut über das, was wir all die Jahre ertragen mussten.“