Gelsenkirchen. Die SPD-Spitze geht mit Hannelore Kraft auf Marktrunde und mit Rosen auf Stimmenfang. Auch der CDU-Kandidat Werner Wöll verteilt Blumen – und nebenan wird protestiert.: Musiker der Neuen Philharmonie Westfalen stehen für ihr Tarifgehalt ein, die versammelte Linke demonstriert gegen Pro NRW.

„Du, das war doch die Kraft?!“ Das ältere Paar hat zwischen Regenschirmen und Marktauslagen gar nicht so schnell mitgekriegt, wer da vorbeischlendert – Rosen im Arm, die lokalen SPD-Granden an ihrer Seite und unauffälige Sicherheitsleute in ihrem Umfeld, ist die NRW-Ministerpräsidentin auf Wahlkampftour in Buer, absolviert erst einen kurzen Marktcheck mit Charme-Offensive, dann einen kurzen Auftritt beim Bürgerfest der SPD auf der Hochstraße.

Zwischendurch bleibt Hannelore Kraft Raum für Zwischenmenschliches in Serie. Am Feinkoststand von Stefan Bremers reicht sie den Herren Blumen über die Theke, ein Stück weiter stoppt sie für ein Erinnerungsbild, hier muss sie kurz einen kleinen Happen probieren, dort Currywurst austeilen. Koch und Berufsschullehrerr Heinrich Wächter steht am Grill und richtet die Portionen an – und auch Kraft muss sich durchbeißen . . .

Es ist der Auftakt zu einem regnerischen Wahlkampftag, der in lautstarken Redeschlachten und bizarren Bildern endet: Nachmittags macht sich Pro NRW am Kunst-Blobster auf dem Goldbergplatz breit. Die Gegendemonstranten beziehen früh Position. Das Bündnis gegen Rechts hat und Piraten, Linke und Ultra-Linke von MLPD bis DKP mobilisiert. Und während langsam die Schalke-Fans in Scharen zum letzten Heimspiel zwischen den Fronten auflaufen, buhlen nebenan andere um Aufmerksamkeit.

„Das Wetter ist Nahkampf“, findet CDU-Kandidat Werner Wöll

CDU-OB-Kandidat Werner Wöll und der Stadtverordnete Wolfgang Heinberg zelebrieren einen einsamen Interview-Dialog. Wöll verteilt zwischendurch orangene Gerbera. Zur Seite stehen den beiden unter einem halbwegs regensicheren Vordach die lokalen Christdemokraten um Gerd Schulte. „Das Wetter ist Nahkampf“, findet Wöll und zieht später weiter Richtung Süden. Nächste Station: Altstadt.

Untergestellt hat sich auch die Protestabordnung der Neuen Philharmonie Westfalen. Vor der Buerschen Falken Apotheke reckt sie ihre Schilder hoch: „Orchesterland. Einzigartig. Erhaltenswert.“ steht auf den Tafeln. Die Musiker fürchten, dass sie bei den Tariferhöhungen in der Branche im Regen stehen bleiben werden. SPD-Kulturausschussvorsitzender Dr. Günter Pruin und Oberbürgermeister Frank Baranowski suchen das Gespräch: Es liegt wohl nicht an Gelsenkirchen, dass die Orchester-Trägerstädte den Tarifausstieg erwägen.

„Der Frank macht ‘nen Bombenjob. Ich bin sicher, die Gelsenkirchener werden ihn wieder wählen“, wirbt Kraft und ist sicher, dass mit Gabriele Preuß „eine Gelsenkirchenerin ins europäische Parlament gehen wird.“ Baranowski erläutert noch kurz die Prioritäten der SPD-Politik im Wechselspiel von Stadt und Land, dann verläuft sich die Zuhörerschar im Regen. Für Oswin Dillmann von der SPD Hassel-Nord, wird der Wahlauftritt kürzer als geplant. „Das ist durch bei dem Wetter“. Das nächste Kapitel schreiben danach andere.

Rote Karte vom Bündnis gegen Rechts

Still trägt eine Frau, ganz in weiß gekleidet, ihren Protest vor sich her: „Ich will mein Gelsenkirchen wieder zurück“ hat sie auf ein Plakat geschrieben. Lautstark verschaffen sich ein Stück weiter am Goldbergplatz andere Gehör. Das „Bündnis gegen Rechts“ will „Nazis und rechten Populisten“ die „Rote Karte“ zeigen. Piraten, Linke, Antifaschisten, AUF und MLPD stehen am Straßenrand. Die Horster Straße wird zu einer Art Demarkationslinie, die Polizei bezieht Position mit sechs Mannschaftswagen und behält die Parteien im Blick.

Es wird bei lautstarken Redeschlachten bleiben: Hüben gut 80 Gegendemonstranten mit Megafon und viel rotem Fahnentuch, drüben 18 Vertreter von Pro NRW mit Lautsprecheranlage und wehenden Deutschland-Fahnen. Kurz nach 13 Uhr fahren die reisenden Polit-Propagandisten von Pro NRW vor – in abgedunkelten Kleintransportern mit HH im Kennzeichen. „Vielfalt statt Einfalt“ und „Ihr könnt nach Hause gehen“ schallt ihnen entgegen. Und der Ärzte-„Schrei nach Liebe“. „Hass ist deine Attitüde, ständig kocht dein Blut“ heißt es in dem Song.

Zum Empfang den Ärzte-Song „Schrei nach Liebe“

Doch die Rechtspopulisten geben sich zunächst kühl lächelnd, scheinen den heißen Empfang eher als Aufwertung zu verstehen. Sie präsentieren sich als die wahren Demokraten, als Sprecher der schweigenden Mehrheit und schmähen die Gegner gegenüber als „Ewiggestrige“. Kevin Hauer, ihr lokaler Stadtverordneter, bleibt lange in der zweiten Reihe und gibt dann doch noch den großen Agitator. „Ihr seid keine Proletarier, ihr seid Proleten der untersten Schicht“, ätzt er und unterstellt den Kritikern: „Sozialmissbrauch gilt nicht nur für Ausländer.“

„Diese Stadt hat Nazis satt“, tönt ihm umgehend entgegen. Zwei junge, bärtige Männer im Kaftan, die zuvor auf der Hochstraße Koran-Ausgaben verteilten, stehen da längst mit am Demo-Ort, Bier trinkende Schalke-Fans in Kutten z iehen vorbei. Die Szenerie wirkt bizarr – und manch Passant registriert sie nur mit Kopfschütteln.Kommunalwahlen 2014