Immer mehr Kinder werden aus ihren Familien genommen, weil der Verdacht auf Verwahrlosung und Misshandlung besteht, sagt Alfons Wissmann, Leiter des Jugendamtes. Er sucht Familien, die sich um sie kümmern
Immer mehr Kinder und Jugendliche in Gelsenkirchen werden aus ihren Familien genommen. „Wir nennen das den Kevin-Effekt: Seitdem das Phänomen Kindesmisshandlung so massiv in der Öffentlichkeit diskutiert wird, werden uns immer mehr Fälle von möglicher Misshandlung von Kindern in Familien gemeldet.” Sei es, weil Nachbarn, Lehrer und Bekannte sensibler reagieren, wenn ein Kind schreit oder mit blauen Flecken aus dem Haus kommt, sei es, weil die Mitarbeiter des Jugendamtes seit den öffentlich gewordenen Kindesmisshandlungen noch genauer hinschauen: Immer mehr Kinder werden vom Jugendamt Gelsenkirchen in Obhut genommen. 2006 waren es 115 Fälle, 2007 schon 178, und im ersten Quartal 2008 sind es sogar 49 - das hieße hochgerechnet auf das gesamte Jahr 196 Kinder und Jugendliche. Bei der Inobhutnahme greifen Jugendämter kurzfristig ein, wenn Kinder und Jugendliche sich in einer akuten, sie gefährdenden Situation befinden. Jugendämter nehmen Minderjährige aus ihrer Familie und bringen sie meist für Stunden oder einige Tage etwa in einem Heim oder einer Pflegefamilie unter. Und hier fängt das Problem an: „Seitdem die Fallzahlen so rapide angestiegen sind, haben wir nicht mehr genug Pflegefamilien, die sich um die Kinder kümmern können”, sagt Wissmann. Natürlich gebe es die drei Kinderheime in der Stadt. „Aber manche Kinder brauchen etwas anderes.” Besonders die Vermittlung von älteren Kindern sei schwierig. „Ab zehn Jahren wird es kritisch.” Eltern würden sich scheuen, diese Kinder aufzunehmen, da diese, ja, das räumt Wissmann sehr wohl ein, oft eine negative Vorgeschichte hätten. „Es ist sicher stellenweise nicht einfach, mit ihnen umzugehen.” Auf der anderen Seite aber auch eine enorme Bereicherung für eine Familie. „Sofern die Chemie stimmt, aber dafür sind wir ja da”, betont Wissmann. Eltern, die sich für ein Pflegekind entscheiden, müssen sich zunächst beim Jugendamt bewerben. Voraussetzungen - abgesehen von einer angemessenenen Wohnsituation und einem einwandfreien polizeilichen Führungszeugnis - gibt es nicht. „Jeder kann sich bewerben, Ehepaare, Einzelpersonen, gleichgeschlechtliche oder unverheiratete Paare, egal, aus welcher gesellschaftlichen Schicht.” Liebe zu Kindern müsse allerdings schon vorhanden sein - „und auch die Bereitschaft, sich auf schwierige Situationen einzulassen”, sagt Wissmann. Und hier betont er wiederum, dass vom Jugendamt jederzeit Hilfestellung gegeben werde. „Schon bei der Auswahl achten wir darauf, dass Kind und mögliche Pflegepersonen zusammenpassen”, sagt Wissmann. Denn es bringe nichts, das Kind in komplett ungewohnte Lebensverhältnisse zu vermitteln. Der kurze Draht zum Jugendamt bleibe sowieso bestehen. „Die Kinder sind ja weiterhin in unserer Verantwortung. Wir sind immer Ansprechpartner, nicht nur bei Problemen.” Unterstützt werden Pflegeltern übrigens auch finanziell. Die genauen Sätze lassen sich beim Jugendamt in Erfahrung bringen. Neben einer Langzeitpflege ist auch eine Kurzzeitbetreuung möglich. » Infos gibt es beim Jugendamt unter 169-9300.