Gelsenkirchen. Vier Frauen, die aus nachvollziehbaren Gründen anonym bleiben wollen, sprechen über den geplanten Sperrbezirk in Gelsenkirchen. Sie beobachten den Verfall ihres Gewerbes - nicht nur finanziell. Auch die Dumpingpreise “ohne Gummi“, die Frauen aus Südosteuropa in Resse anbieten, sind Thema.

Früher lag der Normalpreis bei 80 Euro „mit“. Der Lohn ist inzwischen dramatisch gesunken. Auf 50, dann auf 30 Euro. Die Frauen aus Rumänien und Bulgarien, die ihre Dienste an der Münsterstraße anbieten, „die machen es für 10 Euro ohne Gummi“. Klara, Sonja, Katja und Julia (Namen geändert), freischaffende Prostituierte, beobachten den Verfall ihres Gewerbes aber nicht nur unter finanziellen Aspekten mit wachsender Sorge.

Die neuen Frauen, „die zum Teil nie eine Schule von innen gesehen haben“, die weder lesen noch schreiben könnten, die kein Wort Deutsch verstünden, denen Begriffe wie Kondom, Geschlechtskrankheit oder etwa Gesundheitsvorsorge gänzlich fremd seien ... sie sind der wunde Punkt im Geschäftsleben der alteingesessenen Professionellen.

„Da werden wir Frauen vertrieben“

Klara, die seit acht Jahren in Gelsenkirchen an der Straße steht, spricht die unpopuläre Wahrheit schnörkellos aus: „Durch diese Frauen leidet ganz Gelsenkirchen.“ Sie selbst könnten sich Krankheiten einfangen und ungehemmt andere infizieren. Bis hin gar zu den nichtsahnenden Ehefrauen ihrer Freier.

Klara und ihre Kolleginnen haben versucht, an der Münsterstraße Überzeugungsarbeit zu leisten: „Macht es nicht für einen Zehner, nicht ohne Gummi, hinterlasst keinen Müll. Das muss nicht sein!“ Auch, dass unbedarfte Passanten oder Anwohner sich belästigt fühlten, sei vermeidbar, der Ärger der Leute verständlich. Aber es müsste schon jemand von der Stadt oder dem Gesundheitsamt dorthin, sagen die Vier. Denn auf die Konkurrentinnen von der Adenauerallee hört man in Resse nicht. Zumal die Frauen aus Südosteuropa unter männlicher Aufsicht stünden. Eine sagt: „Die müssen Geld verdienen für die Männer.“

Die Einrichtung eines gesamtstädtischen Sperrbezirks mit einer ausgewiesenen „Verrichtungsstelle“ stößt bei den vier Frauen auf heftige Kritik. Dann wäre die Sicherheit der Frauen nicht mehr gewährleistet, sagen sie. Und sie befürchten einen Verdrängungsprozess. Wie in Essen. „Da werden wir Frauen vertrieben.“ Weil da eben auch erwähnte Prostituierte zum Billigtarif stehen würden. Zum Thema Sicherheit erinnert Klara an einen Vorfall in Dortmund. Dort empfing eine Prostituierte wegen des Sperrbezirks die Freier in einer Wohnung und wurde aus dem Fenster geworfen. „Sie sitzt heute im Rollstuhl“.

AUF-Stadtverordnete hat Gespräche mit Prostituierten geführt

AUF-Stadtverordnete Monika Gärtner-Engel hat Kontakt zu den Prostituierten aufgenommen, hat sie bei deren Stippvisite zur Münsterstraße begleitet. Und ist geschockt. Die Frauen stünden dort den ganzen Tag, würden zum Teil völlig fertig aussehen. Und manche, so ihre Einschätzung, erweckten den Eindruck, als stünden sie unter Drogen. „In anderen Städten wird mehr getan für die Frauen. Da gibt es aufsuchende Sozialarbeit.“ Die Frauen könnten sich untersuchen und impfen lassen, sie bekämen kostenlos Kondome und könnten Beratungsgespräche führen. Aber in Gelsenkirchen? Die Frage beantwortet Klara und es klingt fast ein wenig zynisch: „Außer der Polizei interessiert sich niemand für uns.“ Die allerdings loben die Frauen ausdrücklich.

Während Gärtner-Engel vorschlägt, die Stadt sollte an der Münsterstraße einen Container aufstellen, in dem Frauen sich aufwärmen oder Gespräche führen können, wünscht sich Julia: „Für uns wäre es am besten, wenn die Münsterstraße Sperrbezirk würde.“ Allerdings denkt sie an Alteingesessene, die hier ihre Dienste seit vielen Jahren im Wohnwagen anbieten: „Auch die würde man vertreiben.“ Der eigentliche Konflikt bleibe – nur an anderer Stelle.

Frauen kritisieren, dass es in NRW keine Kondompflicht gibt

Als undemokratisch bezeichnet es Monika Gärtner-Engel, über die Einrichtung eines Sperrbezirks zu diskutieren, ohne jemals mit den Frauen selbst über deren Meinung zu berechtigten Bürgerbeschwerden oder Lösungsvorschläge gesprochen zu haben. Eine Verrichtungsstelle berge Konfliktpotenzial.

Dreisprachige Handzettel hat sie an der Münsterstraße verteilt. Dass es in NRW keine Kondompflicht gibt, halten die vier Prostituierten, die mit Gärtner-Engel in Kontakt stehen, für äußerst bedenklich. In Bayern, sagt eine von ihnen, würde es Kontrollen durch vermeintliche Kunden geben. Eine Geldstrafe wirke Wunder.