Gelsenkirchen.

Am Anfang stand das Staunen. Das Staunen über mächtige katholische Prachtbauten, entstanden im späten 19. Jahrhundert, einer Zeit, als die Masse der Menschen an der Ruhr eher darbte, denn spendenfreudig in Saus und Braus lebte. Nicht zuletzt dieses Staunen weckte den Forschergeist des an Historie interessierten, heute 78-jährigen Gelsenkirchener Architekten Karl-Heinz Rotthoff.

Am Ende entstand das 317 Seiten starke Sachbuch „Das Drama des preußischen Kulturkampfes im 19. Jahrhundert und wichtige Folgen im 20. Jahrhundert“. Ein Buch, das mit Klischees aufräumen will. Ein Hauptinteresse der akribischen, vier Jahre währenden Untersuchungen galt den Gelsenkirchener Ereignissen und auch den Folgen des sogenannten Kulturkampfes auf die eigene Familie. Das Buch ist Rotthoffs Vater Felix gewidmet, der seinem Sohn nicht nur die Liebe zur Geschichte, sondern auch zum Glauben vermittelte: „Ich bin bis heute praktizierender Katholik.“

Der Konflikt eskalierte ab 1871

Der Begriff Kulturkampf meint die Auseinandersetzung zwischen dem Königreich Preußen (und später dem Reichskanzler Otto von Bismarck) und der katholischen Kirche. Dieser Konflikt eskalierte ab 1871 und wurde gegen 1878 wieder beendet. Der Kampf drehte sich vor allem um die Trennung von Kirche und Staat. Autor Rotthoff kommt in seinem Buch zu dem Ergebnis: „Bismarcks Ambitionen scheitern. Das katholische Gefühl des Triumphes hinterlässt viele riesige Kirchen, die bis heute neben den Fabriken die Vororte prägen.“

Der Klappentext bilanziert: „In der damaligen grobianistischen Industrialisierung ergriff die katholische Kirche in sozialen Fragen häufig Partei für die arbeitende Bevölkerung, bevor diese sich selbst zu organisieren begann.“

Schwierigkeiten des frommen Großvaters

Im Kapitel, das sich mit der persönlichen Betroffenheit der Familie durch den Kulturkampf auseinandersetzt, erzählt Rotthoff detailgenau von den Schwierigkeiten des frommen Großvaters, einem Maschinensteiger in Dortmund, im Jahre 1882. Der Vater von sieben Kindern erhielt damals die Kündigung, Rotthoff vermutet, weil er Wähler der Zentrumspartei und fromm katholisch war. Gleich vier der Kinder schlugen später eine geistliche Laufbahn ein, mussten viele Hürden überwinden, und Rotthoff ist sich sicher: „Die dargestellten Lebensläufe wären ohne den Kulturkampf und seine Spätfolgen anders verlaufen.“ Auch den Bau der neugotischen Gelsenkirchener Propsteikirche St. Augustinus bewertet Rotthoff aus politischer Perspektive: „Während des Kulturkampfes wurde die Neugotik zum Widerstandssymbol der ultramontanen Kreise stilisiert. Mit neugotischen Kirchen demonstrieren Katholiken bewusst ihre antipreußische Haltung.“