Gelsenkirchen.
Der derzeitige Chefdirigent des Musiktheaters im Revier, Rasmus Baumann, unterschrieb am Donnerstag einen Fünfjahresvertrag als Generalmusikdirektor der Neuen Philharmonie Westfalen. Sein Amt übernimmt der 39-jährige Gelsenkirchener Mitte 2014 und tritt damit die Nachfolge von Heiko Mathias Förster an.
Herr Baumann, was hat ein Generalmusikdirektor, was ein Chefdirigent nicht hat? Anders gefragt: Was reizt Sie am Wechsel der Pulte?
Rasmus Baumann: Das sind im allgemeinen schlicht zwei unterschiedliche Titel mit der selben Aufgabe. Die NPW und ich habe fünf Jahre lang sehr erfolgreich mit dem Schwerpunkt Oper zusammengearbeitet und nun freue ich mich darauf, das Orchester auch im Konzert mehr prägen und einen abwechslungsreichen Spielplan für das Orchester erstellen zu können. Das ist eine spannende Herausforderung.
Mit welchem Konzept haben Sie sich beworben?
Baumann: Ich habe dem Trägervorstand zunächst einmal Vorschläge gemacht. Zum Erreichen für Synergieeffekte zwischen Musiktheater und Neuer Philharmonie zum Beispiel. Theater und Orchester müssen sich endlich als Partner begreifen. Zudem möchte ich neue Zuschauer durch Sonderkonzerte wie „MiR goes …“ gewinnen, die Kinder- und Jugendarbeit könnte besser vernetzt werden. Die Zuschauerzahlen im Musiktheater gehen nach oben, die in den Konzerten aber sinken. Da will ich gegensteuern.
Sie kennen das Orchester gut. Wo liegen seine Stärken, woran muss noch gefeilt werden?
Baumann: Stärken sind die hohe Flexibilität und in der Regel die Schnelligkeit im Probenprozess. Die Musiker reagieren sehr gut aufs Dirigat. Arbeiten werde ich an einer dauerhaften Präzision. Gerade in der Oper sollte auch die achte Vorstellung noch so gut klingen wie die Premiere. Die Qualität eines Orchesters definiert sich vor allem durch die Piano-Kultur, nicht durch das Forte. Und die technische Perfektion natürlich.
Heute vor allem große Oper, morgen vor allem große Sinfonik. Hauptsache gute Musik?
Baumann: Ja, denn ich könnte weder ohne die Oper noch ohne die Sinfonik leben, ich mache beides mit der gleichen Leidenschaft. Für mich gibt es auch keine E- und U-Musik, sondern nur gute oder schlechte.
Bislang leitete der GMD nur wenige Opernproduktionen? Wird das bald anders sein?
Baumann: Ich hoffe das, denn der GMD der Philharmonie sollte auch im Musiktheater sehr präsent sein. Das ist eine Frage der Disposition. Meine Bereitschaft dazu ist auf jeden Fall da.
Werden Sie einen Arbeitssitz sowohl in Recklinghausen als auch in Gelsenkirchen haben?
Baumann: Mein Hauptsitz wird das Depot in Recklinghausen sein, aber ich hoffe auch im MiR mein Büro behalten zu können. Dort habe ich vor 23 Jahren meinen ersten Dirigierunterricht gehabt!
Welche Charaktereigenschaften sollte ein Dirigent mitbringen? Muss er auch ein bisschen Diktator sein?
Baumann: Nein, Diktator muss er nicht sein, aber durchsetzungsfähig, ein Alpha-Tier eben. Ein Orchester ist kein demokratisch geführter Betrieb. Ein Dirigent muss zunächst musikalisches Talent, Geschmack und Bildung mitbringen. Dann eine manuelle Begabung, psychologisches Know-how und Empathie, aber nicht zu viel. Er darf keine Angst haben, aber ein kleines bisschen verrückt sein.
Welche Musik hört Rasmus Baumann privat?
Baumann: Ich habe einen breiten musikalischen Geschmack. Da ich aber von der Kirchenmusik komme (mein Onkel war Kantor in Gladbeck), liegen dort meine Wurzeln. Aber ich höre auch gerne Jazz, Rock, Pop, Metal. Am liebsten aber höre ich im Moment die ersten Sprechversuche meines fünf Monate alten Sohnes.
Im Vorfeld Ihrer Wahl gab es Misstöne aus dem Orchester, das teils vehement ein Auswahlverfahren aus mehreren Kandidaten forderte. Können Sie die Kritik nachvollziehen?
Baumann: Ja und Nein. Üblicherweise stellen sich mehrere Dirigenten vor, aber kein Orchester (außer den Berliner Philharmonikern) hat das Recht, sich den Chef auszusuchen. Ich kenne die Neue Philharmonie seit fünf Jahren und das Orchester kennt mich. Es gab viele Musiker, die sich auch deutlich für mich ausgesprochen haben. Das Kuratorium wollte das Orchester vor allem für die Zukunft sichern, das geht nur über einen Zuwachs an Besucherzahlen, der uns am Musiktheater bereits gelungen ist.
Belastet die Diskussion die Zusammenarbeit mit dem Orchester?
Baumann: Nein, sie belastet meine musikalische Arbeit nicht, obwohl mich manche Kritik an dem Verfahren durchaus irritiert hat. Das Wichtigste wird es sein, gute Musik zu machen und damit möglichst viele Menschen zu erreichen.
Es gibt auch Stimmen, die ein Übergewicht an populärer Unterhaltungsmusik fürchten.
Baumann: Ich habe doch nicht vier musikalische Ausbildungen als Klavierlehrer, Konzertpianist, Kirchenmusiker und Dirigent absolviert, um dann nur noch Pop-Musik zu machen! Nein, die Neue Philharmonie ist und bleibt ein klassisches Sinfonieorchester, aber wir müssen uns ins alle Richtungen öffnen.
Viele Künstler zieht es in die große weite Welt hinaus. Was hält Sie im Revier?
Baumann: (lacht) Da muss ich an diesen A-40-Sticker von Frank Goosen denken! Aber im Ernst: Eine Künstlerkarriere lässt sich kaum planen. Für mich ist das Ruhrgebiet eine kulturell überaus spannende Region, vielleicht die spannendste Deutschlands. Und mir gefällt der Menschenschlag.