Gelsenkirchen.. Angebot an Ausbildungsplätzen ist größer als Zahl der Bewerber. Betriebschefs werden bald Nachfolger fehlen. Handwerk braucht auch Häuptlinge

Heute soll der „Tag des Ausbildungsplatzes“ junge Leute wie Kammern und Unternehmen daran erinnern, ihre Zukunft im Blick zu haben, beziehungsweise ihre gesellschaftliche Verpflichtung ernst zu nehmen. Arbeitsagentur, Industrie- und Handelskammer wie auch Kreishandwerkerschaft (KHS) gehen optimistisch in den Endspurt. Die meisten Bewerber, so ihre Prognose, werden zum Beginn des Ausbildungsjahres auch eine Lehrstelle gefunden haben.

Agenturchef Karl Tymister sieht den Aktionstag, der seit 18 Jahren stattfindet, auch als Appell an Arbeitgeber, den Fokus auf Ausbildung zu richten. Er sieht für Arbeitgeber vor allem durch den doppelten Abi-Jahrgang eine Chance, ihre Plätze mit gut vorgebildeten Jugendlichen besetzen zu können. Noch sei der Mangel an Fachkräften nicht zu spüren. Doch bei zurückgehenden Schulentlasszahlen in den nächsten Jahren werde auch in der Emscher-Lippe-Region ein Engpass eintreten. Im Handwerk ist die Situation heute schon angespannt. Die Betriebe bauen kaum auf Jugendliche, die gerade ihr Abi in der Tasche haben. „Abiturienten nehmen das Handwerk nicht wahr“, glaubt Egbert Streich, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Emscher-Lippe-West.

Dabei wissen die wenigsten Jugendlichen, dass auch der Weg in die Lehrwerkstatt über Techniker- und Meisterkurse zum Vollstudium mit akademischem Abschluss führen kann. Doch die Vorstellung über den Beruf muss stimmen. So mancher Jugendlicher, der sich fürs Handwerk entscheidet, hat oft ein falsches Bild von dem Beruf. Fast jeder fünfte bricht seine Ausbildung im ersten Jahr ab. Die KHS will die Aufklärung für Jugendliche verbessern, bei Ausbildungsbörsen Berufe vorstellen. Mit weiteren Praktika soll Schülern die reale Arbeitswelt und das genaue Berufsbild noch besser vermittelt werden. Hoffnung setzt das Handwerk auf die Initiative „NÜS“ -Neues Übergangssystem Schule und Beruf - mit der Schüler schon in der siebten Jahrgangsstufe Einblicke in die Arbeitswelt erhalten. Egbert Streich hofft auf eine intensivere Zusammenarbeit mit den Schulen. „Bisher“, so Streich, „gingen die Aktivitäten immer von uns aus. Von den Schulen kamen nur wenige Impulse.

Angebot im Handwerk groß

Die Zeit drängt. In den nächsten Jahren werden viele Chefs keinen Nachfolger für ihren Betrieb finden. Das Angebot an Lehrstellen ist im Handwerk größer als die Anzahl an Bewerbern. Doch die Existenz vieler Betriebe könnte bei zunehmender Zurückhaltung gefährdet werden. Streich: „Wir brauchen im Handwerk nicht nur Indianer, sondern auch Häuptlinge.“

Die Wirtschaft im Emscher-Lippe-Raum nimmt ihre Ausbildungsverpflichtung besonders ernst. Zu dieser Einschätzung kommt IHK-Geschäftsführer Christoph Pieper. Der Anteil an den Gesamtbetrieben im IHK-Bereich Nord Westfalen liegt bei 20 Prozent. Bei den Ausbildungsabschlüssen kommt der Kammerbezirk auf einen Anteil von 31 Prozent. Bis auf 130 Bewerber konnten alle Jugendlichen im letzten Jahr vermittelt werden. Es sei bei Nachvermittlungen über den 30. September hinaus gelungen, jedem ausbildungswilligen und -fähigen Bewerber noch ein Angebot für eine Qualifizierung zu machen. Auch in diesem Jahr geht Christoph Pieper von einem ähnlichen Ergebnis aus. Allerdings wünscht er sich eine größere Mitarbeit der Jugendlichen, die im ersten Anlauf keinen Ausbildungsplatz erhalten haben. Pieper: „Wir haben alle angeschrieben. Nur die Hälfte ist erschienen.“

Die meisten Defizite weisen Jugendliche offensichtlich im Sozialverhalten auf. Tugenden wie Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit bewerten Arbeitgeber stärker als den kritischen Blick aufs Zeugnis.

Nicht aufs falsche Pferd setzen

Das Grundproblem am heimischen Arbeitsmarkt ist der Mangel an Arbeitsplätzen. Pieper: „Wir haben 80.000 Arbeitsplätze verloren. Heute fehlen uns Unternehmen, die das Verhältnis Angebot und Nachfrage verbessern würden.“ Entspannter wird es erst in den nächsten Jahren werden, wenn weniger Bewerber auf den Ausbildungsmarkt drängen.

Um nicht aufs falsche Pferd zu setzen, rät Agenturchef Karl Tymister allen Jugendlichen, mehrere Pläne für die berufliche Zukunft in der Tasche zu haben und sich rechtzeitig und genau über Berufe und alternative Qualifizierung zu informieren. „Und im Internet“, weiß Tymister, „kennen sich die jungen Leute ja bestens aus.“