Gelsenkirchen. Der alte Trakt des Amtsgerichts Gelsenkirchen darf nicht mehr betreten werden. Denn der Altbau birgt ein Sicherheitsrisiko: In dem Gebäude gibt es erhebliche Risse, es besteht Einsturzgefahr. Das Gericht lebt nun von der Improvisation. Strafverfahren werden auf vier Gerichte verteilt.
Die beiden Damen vom Grundbuchamt haben ihr Lachen nicht verlernt. Auf dem Flur im 1. Stock des Amtsgerichts haben sie ihr Büro eingerichtet. Ihren Arbeitsplatz im alten Trakt des Gebäudes dürfen sie nicht mehr betreten. Risse im Gebäude, das vor dem 1. Weltkrieg errichtet worden ist, gefährden die Bausubstanz. Alle Räume sind leer gezogen. Für die etwa 150 Mitarbeiter gehören Umzüge zum Tagesgeschäft.
Im Keller haben Statiker das Hauptproblem ausgemacht. Die gemauerte Gewölbedecke muss abgestützt, mit Holz untermauert werden, damit es nicht einstürzt. Gefährdet ist damit auch das Erdgeschoss. Etwa 25000 Grundbuchakten können derzeit nicht bearbeitet werden. Doch die Statiker haben grünes Licht gegeben, dass die Räume nach den Sicherungsmaßnahmen zumindest geleert werden können. „Nur benutzen“, weiß Amtsgerichtsdirektor Jost-Michael Kausträter, „dürfen wir sie nie mehr.“ Doch bevor die Akten in den Keller des Neubaus wandern, müssen erst ältere Zivil- und Familienakten ausgeräumt und in ein Recklinghäuser Archiv transportiert werden.
Chef muss Flexibilität beweisen
So sehr die Mannschaft die Nachricht geschockt hat, in einem maroden Gebäude zu sitzen, so anpassungsfähig zeigten sie sich beim Umzug. Kausträter sieht bei aller Belastung auch einen Vorteil der aufgezwungenen Mobilität. „Alle Kollegen teilen sich jetzt die Büros, rücken auf engstem Raum zusammen, zeigen sich kooperativ und flexibel. Jeder hilft jedem.“
Flexibilität muss auch der Chef beweisen, der täglich in einem anderen Büro Platz nimmt. In seinem Zimmer legte er persönliche Sachen beiseite, hängte ein Bild ab. Jetzt verkünden hier Richterkollegen ihre Urteile. Schwer fiel ihm nur der vorübergehende Arbeitsplatz in seinem Vorzimmer. Da musste er als Fan des VFL Bochum mit ansehen, dass Kolleginnen aus Dortmund-Tassen trinken.
Häufiger reisen müssen die Richter, die im Amtsgericht nur ihre Büros behalten. Bei Strafverfahren sprechen sie in Borbeck, Buer, im Gelsenkirchener Verwaltungsgericht oder Arbeitsgericht Recht. Müssten Angeklagte vorgeführt werden, gäbe es an der Overwegstraße keine gesicherten Räume mehr. Die Zellen bleiben leer, sie sind ebenfalls gefährdet. Im Wissenschaftspark sind demnächst 30 Mitarbeiter der Zivil- und Familienabteilung zu Hause. Größere Zimmer im Amtsgericht werden gleichzeitig in Sitzungssäle umgebaut. Dann können Zivil- und Familiensachen weiter an der Overwegstraße verhandelt werden. Noch rücken sich die Parteien in den Büros der Richter auf die Pelle.