Gelsenkirchen.. Schunkelalarm in Erle: 850 Teilnehmer bevölkern den 42. Rosenmontags-Zug. Für den Leiter Werner Preißler gibt es ein Abschiedsständchen – nach 30 Jahren zieht er sich aus der ersten Reihe der aktiven Karnevalisten zurück. 80.000 Narren kamen zum Zug nach Gelsenkirchen.

Rot-gelbe Fähnchen, dazu ein vielstimmiger Chor und eine jecke Portion Abschiedsschmerz: Als Zugleiter Werner Preißler mit seinem 30. und letzten Rosenmontagszug an der Tribüne neben der Sparkasse an der Cranger Straße vorfährt, werden Taschentücher gezückt.

Rund 80000 Zuschauer verfolgten den 42. Rosenmontagszug in Erle und die Auftritte der Tanzgarden.  Foto: Martin Möller / WAZ FotoPool
Rund 80000 Zuschauer verfolgten den 42. Rosenmontagszug in Erle und die Auftritte der Tanzgarden. Foto: Martin Möller / WAZ FotoPool © WAZ FotoPool | WAZ FotoPool

„Wir winken unserem Werner“ bekommen die Menschen auf der Tribüne und unten auf der Straße mit auf den Weg. Gesagt, getan. „Bye bye my love, do wors jot, und der Zug mit Dir war schön“, tönt es aus dem Lautsprechern nach reichlich Vorglühzeit bei eisigen Temperaturen.

15.10 Uhr: Der 42. Rosenmontagszug ist 40 Minuten nach dem Start endlich im närrischen Zentrum angekommen. 24 Motivwagen, elf Fußgruppen, neun Tanzgarden und gefühlt 80 000 Besucher sind unterwegs. Jetzt hagelt es Bonbons und Bärchen, Popcorn und Bälle. „Mit Lachen und mit Heiterkeit durch die 5. Jahreszeit“ ist 2012 das Motto. Die Erler Funken haben es umgemünzt. Auf ihrem Motivwagen versenken sie Euros und schunkeln „durch die nächste Pleitezeit“. Die Abteilung Real-Satire ist übersichtlich: Gegen Kinderarmut rollen die Falken mit ihrem Wagen, zerlöcherte Schutzschirme hat AUF aufgespannt und „Banker und Zocker“ im Visier. Die Polit-Narren müssen ohne größere Begrüßung von der Tribüne auskommen, ansonsten wird hier jede Gruppe, jedes Tänzchen angesagt auf den 650 Zugmetern zwischen Eröffnungs-Lokomotive und dem Bass-bollernden Disco-Wagen der Alten Hütte.

Brasilianisches Rhythmus-Gefühl brachte die Trommler-Truppe mit nach Erle.  Foto: Martin Möller / WAZ FotoPool
Brasilianisches Rhythmus-Gefühl brachte die Trommler-Truppe mit nach Erle. Foto: Martin Möller / WAZ FotoPool © WAZ FotoPool | WAZ FotoPool

Die Bismarcker Funken fahren voran, gefolgt von den „Best Agern“ der KG Narrenzunft. Grün-Weiß Resse verschafft sich mit eigenem Lautsprecher Gehör, KC Astoria, KG Piccolo und Erler Funken, Reiterverein und Schützen geben sich die Ehre. Spielmannszüge sorgen zwischendurch für den guten Ton. Das Kinderprinzenpaar schaukelt unter einer Gold-Krone und hinter einem riesigen Gold-Brummer durch Erle. Von einer weißen Kutsche aus grüßen Prinz Michael II. und Prinzessin Martina II. in Astoria-Blau ihr Volk und verteilen beidhändig Plüschtiere und „Fette Polster“. Eine Bausparkasse hat die Sitzkissen offensichtlich beigesteuert. Was für ein Rhythmus-Feuer musikalisch möglich ist, zeigt eine Samba-Truppe. Brasilianische Trommler sorgen für tiefes Bauchkribbeln, zwei Tänzerinnen für gehörig Wirbel. Mehr davon!

Im Erler Zentrum stehen die Besucher in Dreier- und Viererreihen. Einige haben sichtlich über den Durst getrunken. Doch die Stimmung kippt nicht. Hexen, Engel und Drachen, Schotten, Kühe und Jedi-Ritter, Nonnen und Hühner feiern gemeinsam. Ohrschutz mit Schweineöhrchen scheint an diesem Tag angesagt – und dicke Kleidung allemal.

An der Aral-Tankstelle hat sich einmal mehr die Jugend in Stellung gebracht, flankiert von Polizeikräften und festgehalten im Video. Manuel (20) und Tim (23) stehen im Trubel. „Wir sind jedes Jahr hier, das hat Tradition. Und gemeinsam überlegen wir immer vorher, wie wir uns verkleiden“. Nun, diesmal ist Tim unschwer als Batman zu erkennen, Manuel gibt den Joker. Fehlt doch einer? Genau, Robin! „Der ist pinkeln.“

Die Watt-Hoheit vor Haus Nummer 209 haben ganz klar die „Blauen Sutumer“. Brülllaut wummert ihr Schalke-Wagen Karnevals-Schlager. Die Gruppe bevorzugt Knacki-Kostüme. Als Möhren sind Steffi, Mareile, Tanja und Bianka unterwegs. „Letztes Jahr waren wir Kronkorken“, erzählt Steffi. Mit Gemüse können sie diesmal punkten. Von der Jury gibt’s den ersten Preis für das schönste Gruppenkostüm. Und ein Helau von der Tribüne.

Rand-Notizen von der Zugstrecke:

Nachschub am Mann: Manche hatten Büchsen an der Birne, andere deckten sich an der Tanke ein...  Foto: Martin Möller / WAZ FotoPool
Nachschub am Mann: Manche hatten Büchsen an der Birne, andere deckten sich an der Tanke ein... Foto: Martin Möller / WAZ FotoPool © WAZ FotoPool | WAZ FotoPool

– Rund 850 Teilnehmer schickte das Festkomitee Gelsenkirchener Karneval auf die gut 2,5 Kilometer lange Zugroute. Allein 196 Ordner und angeblich 111 Polizeibeamte sorgten für Sicherheit.
–  Wurfgut gab es reichlich: Das Festkomitee hatte allein 11,5 Tonnen Bonbons bestellt. Viele süße Wurfgeschosse blieben allerdings im Rinnstein liegen. Gern genommen waren Plüschbären und Popcorn.
–  Mit einem kleinen Fußtrupp und einer 15-köpfigen Wagenbesatzung waren mal wieder die Schalker Haie mit von der Partie. Zug-Premiere feierte eine neue Gesellschaft: Die Jecken vom Pütt.
 -- Unverwüstliche Karnevals-Party-Kracher gehen ja immer: „Jute Fründe stohn zusamme“ wird ebenso gern genommen wie die unvermeidliche Karawane und natürlich Songs mit Lokalkolorit. Auf der Hitliste Rosenmontag in Erle ganz oben der Knappen-Knaller: „Komm mit auf ein Bierchen nach Gelsenkirchen...“
–  Flüssigen und festen Nachschub am Zug gab es zu durchaus sozialverträglichen Preisen: Bratwurst im Brötchen: 2,30 Euro, Friko-Brötchen für 1,50 Euro, 6 Bier für 10 Euro.  Bier statt Bleifrei wurde (wenn auch nicht so exzessiv wie in den Vorjahren) wieder an den Tankstellen abgefüllt. Auch die Kioske und Bäckereien hatten gut zu tun, in manchen Kneipen verzichtete man aber lieber ganz aufs Rosenmontags-Geschäft. Anders bei Tiemann: Zug gucken und zwischendurch aufwärmen beim Pilsken an der Theke schlossen sich hier nicht aus.
– Die „mechanische Beschallung“ auf den Wagen war übrigens klar geregelt: Mehr als 80 Dezibel sollten die Zuhörer nicht auf die Ohren bekommen. Und zahlen müssen die Jecken für die Unterhaltung auch. Für Musik vom Festwagen kassiert die Gema 20 Euro Gebühren. Pro Fahrzeug.