Gelsenkirchen. .

Die Zeiten sind schlecht, Besserung irgendwie nicht in Sicht, aber alle wollen das Beste aus der Situation machen. Auf diese knappe Formel könnte man ein 1147 Seiten starkes Werk reduzieren: den Entwurf für den Haushaltsplan 2012, den Oberbürgermeister Frank Baranowski (SPD) und Kämmerer Dr. Georg Lunemann (CDU) am Donnerstag dem Rat der Stadt vorstellten.

Und so schnell kann das gehen: Das Defizit im Haushalt macht seit Freitag statt der von Lunemann vorgetragenen 94,7 Millionen Euro jetzt gut 96,3 Mio. Euro aus, nachdem der Landschaftsverband Westfalen-Lippe am Morgen in Münster eine Hebesatzsteigerung um 0,4 Prozentpunkte von 15,7 auf 16,1 beschlossen hat. Für Gelsenkirchen bedeutet das in absoluten Zahlen ein Abgabeplus von 1,6 Mio. € auf nun 66,6 Mio. €.

Schlüsselzuweisungen sind stark gestiegen

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Wer nun glaubt, dass seien doch über 50 Mio. Euro weniger als im noch immer nicht genehmigten Haushaltsplan 2011 (Defizit 150 Mio. Euro), der findet sich auf einer falschen Fährte wieder. Das Defizit ist nahezu gleich, weil das Land NRW angesichts stark gestiegener Einnahmen im Bereich der Gewerbesteuer die Schlüsselzuweisungen massiv erhöhen konnte auf für Gelsenkirchen fast 59 Mio. € im Jahr 2012. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Unternehmen in der Stadt bewegt sich mit 108 Mio. Euro Gewerbesteuer auf Vorjahresniveau – allerdings mit leicht stabilisierten Effekten.

Das ist die erfreuliche Botschaft: Dem wirtschaftlichen Mittelstand geht es zwar nicht toll, aber zumindest in der Breite so gut, dass er eine stabile Säule bildet für das bröckelnde Gebäude Gelsenkirchen. Denn nach wie Sorgen bereitet der Stadtspitze der bisher größte Einzelsteuerzahler in diesem Bereich: Eon. Durch den Atomausstieg und durch notwendig gewordene Abschreibungen im Auslandsgeschäft (die WAZ berichtete) steht nach einer Minderung für 2011 auch für 2012 keine Zahlungserwartung an, die die Kasse maßgeblich füllen würde. Ob da mittelfristig das neue Wohnungsunternehmen „vivawest“ einspringen kann, immerhin das drittgrößte in Deutschland seit der Fusion von THS und der Evonik-Sparte, ist momentan ein Hoffnungsschimmer am Horizont.

Zahlen, Zahlen und noch mehr Zahlen

Konkret geht es im Entwurf des Haushaltsplanes 2012 um enorm viele Zahlen, Zahlen wie diese: Voraussichtlich anfallenden Erträgen von 751,1 Mio. € stehen Aufwendungen in einer Höhe von gut 847,4 Mio. € gegenüber. Der Negativ-Saldo der Stadt beträgt damit rund 96,3 Mio. €. Um diesen Betrag wird die allgemeine Rücklage verringert, reduziert sich das Eigenkapital. Der Gesamtbetrag der Kredite, deren Aufnahme für Investitionen erforderlich ist, soll auf 14,7 Mio. € festgesetzt werden.

Die Erträge aus Steuern und Zuweisungen

Im Bereich der Steuern und ähnliche Abgaben (240,6 Mio. €) sind neben der Gewerbesteuer (108 Mio. €) der Gemeindeanteil an der Einkommensteuer (66,1 Mio. €) und die Grundsteuer B (35,2 Mio. €) als wichtigste Positionen zu verzeichnen. Bei den Zuwendungen und allgemeinen Umlagen (278,7 Mio. €) stellt die Summe der Schlüsselzuweisungen mit 232,8 Mio. € aus Gelsenkirchener Sicht weitaus die wichtigste Einzelposition dar. Zweckgebundene Zuweisungen des Landes sind mit einem Aufkommen von 16,2 Mio. € ausgewiesen, die Sonderposten betragen rund 25,5 Mio. €.

Die Aufwendungen sind enorm hoch

Die Transferaufwendungen weisen von allen Aufwendungen mit einer Höhe von 357,8 Mio. € mit weitem Abstand das größte Volumen auf. Die Personalaufwendungen betragen 140,9 Mio. €; auf Zuführungen an Rückstellungen entfällt ein Betrag von insgesamt 13,1 Mio. €. Die Versorgungsaufwendungen (32,3 Mio. €) beinhalten die Pensionen für ehemalige Beamte (26,3 Mio. € einschließlich Beihilfen) sowie die Zusatzversorgungsrenten an ehemalige tariflich Beschäftigte (6 Mio. €). Die Aufwendungen für Sach- und Dienstleistungen (200,3 Mio. €) bilden mit sonstigen ordentlichen Aufwendungen den klassischen ‚Sachaufwand’ ab.

Zinsaufwendungen für Darlehen, die von der Stadt in Anspruch genommen wurden (einschließlich Darlehen zur Liquiditätssicherung), werden mit 26,7 Mio. € (Investitionskredite 16,1 Mio. €, Liquiditätskredite 10,3 Mio. sonstige Zinsen 0,3 Mio. €) erwartet.

Auszüge aus den Haushaltsreden:

Oberbürgermeister Frank Baranowski. Foto: Thomas Schmidtke
Oberbürgermeister Frank Baranowski. Foto: Thomas Schmidtke © WAZ FotoPool

Frank Baranowski: Mein Ziel und das der Verwaltung ist es, und das ist der erste und wichtigste Punkt, dass in unserer Stadt jedes Kind eine echte Chance auf ein gutes und selbstbestimmtes Leben bekommt. Dass in unserer Stadt die Bildungs- und Lebenschancen nicht von der Herkunft abhängen, vom Einkommen und Bildungsgrad der Eltern. Dass Gelsenkirchener Biografien immer häufiger zu Erfolgsbiografien werden.

Mein Ziel und das der Verwaltung ist außerdem, dass die Menschen ihre Lebenschancen gerne in Gelsenkirchen ergreifen, weil es hier gute und gut bezahlte Arbeitsplätze gibt. Weil die Menschen hier in einer bunten und solidarischen Stadtgesellschaft weitestgehend friedlich zusammenleben. Zwar weniger Menschen als beispielsweise vor vier Jahrzehnten – aber wer hier wohnt, der genießt eine hohe Lebensqualität. Wir Gelsenkirchenerinnen und Gelsenkirchener wollen weiter daran arbeiten, das Erbe der Schwerindustrie klug zu einer attraktiven Stadtstruktur weiterzuentwickeln.

Kämmerer Dr. Georg Lunemann.Foto: Cornelia Fischer
Kämmerer Dr. Georg Lunemann.Foto: Cornelia Fischer © Cornelia Fischer

Georg Lunemann: ,Im Westen nichts Neues’, der Titel dieses Meisterwerks von Erich Maria Remarque könnte den Umschlag des Haushaltsplans 2012 zieren. Könnte, wenn die Finanzdaten des Haushalts reiner Selbstzweck wären. Das sind sie aber nicht! Finanzen sind immer nur Mittel zum Zweck. Und der Zweck ist der Erhalt einer lebenswerten Stadt. Letzteres ist uns . . . ganz gut gelungen. So gut, dass Gelsenkirchen in vielen Politikfeldern – vor allem in der Jugend-, Bildungs- und Sozialpolitik – richtungweisend ist.

Ob mit oder ohne Stärkungspakt, die Herausforderung bleibt die Gleiche. Wir müssen den Haushaltsausgleich schaffen und daher am bewährten Dreiklang festhalten: Sparkurs beibehalten, Wirtschaft vor Ort fördern, Strategisches Potenzial heben.

Der Sparkurs der vergangenen 20 Jahre war nicht wirkungslos. Hätte die Stadt seinerzeit nicht gegengesteuert, wären bis heute Defizite von 1,4 Milliarden Euro aufgelaufen. Mehr als ein Drittel davon konnte aus eigener Kraft abgewendet werden.