Wer die Schule schwänzt, spielt mit seiner Zukunft. Hilfe für Schulverweigerer bietet die Stadt: Mit einem maßgeschneiderten Programm werden Jugendliche auf die Rückkehr in die Schule vorbereitet. Mit Erfolg, bilanzieren die Verantwortlichen.
Null Bock auf Schule? Das soll vorkommen bei Kindern und Jugendlichen. Und dürfte bei Lehrern wie Eltern kaum Alarmglocken auslösen – wenn's nur gelegentlich ist. Denn sonst droht Schwänzen, und das kann bekanntlich böse enden: Nicht selten rutschen Noten in den Keller, und plötzlich wackelt der Schulabschluss. Seit über zwei Jahren gibt die Stadt Schulverweigerern eine „2. Chance”. Und das mit Erfolg: Die Erfahrungen, bilanziert Projekt-Koordinator Reiner Neuberg-Hahn, „sind erstaunlich positiv”.
In Sachen Schulverweigerung liegt Gelsenkirchen im Trend, sagt Bildungsdezernent Manfred Beck. Gesicherte Zahlen gibt es nicht, nach Schätzungen des Bundes zeigten ein bis zwei Prozent der Schüler „verfestigte Formen” der Schulverweigerung. In dieser Stadt gehen Fachleute bei vorsichtigen Schätzungen von 110 bis 120 Jugendlichen „mit erheblichen Schulverweigerungshaltungen” aus.
Für sie gibt es seit September 2006 die „2. Chance”. Ziel des Programms ist die Rückführung von Schulschwänzern in die Schule – innerhalb eines Jahres. 45 Plätze gibt es pro Jahr in Gelsenkirchen, zwei Drittel der Schüler betreut die Stadt selbst, ein Drittel vermittelt sie an den Förderkorb. Helfen will die Stadt jenen, die „schulmüde” sind, sagt Projekt-Koordinator Neuberg-Hahn. Dass sind die, die den Unterricht regelmäßig schwänzen, stören oder ausdruckslos verfolgen.
Wichtig ist dem sechsköpfigen Team ein maßgeschneidertes Reintegrationsprogramm für jeden einzelnen. Denn: „Schulverweigerung hat viele Formen”, erklärt Neuberg-Hahn. Der eine schwänzt, weil ihn Mitschüler mobben, der andere, weil sich die Eltern getrennt haben, und wieder ein anderer, weil er umgezogen ist. Und nicht zuletzt hätten nicht wenige der Schüler psychosoziale Probleme, die nur individuell zu lösen seien. „Das A und O ist deshalb auch die Elternarbeit”, erklärt der Projekt-Chef. Einige Schüler werden aus diesem Grund auch allein ambulant, im häuslichen Umfeld betreut.
Nicht so beim Förderkorb. Dort gibt es die Schülerwerkstatt, ein „tagesstrukturierendes Ganztagsangebot”. Was so viel heißt wie: einen festen Stundenplan, damit sich die Schüler (wieder) an Strukturen, ja feste Uhrzeiten gewöhnen. Dass man aufsteht, wenn der Wecker klingelt, dass man morgens frühstückt und zum Mittag essen Gabel und Messer benutzt, will dabei gelernt sein, sagt Barbara Rachow, die Projektleiterin der Schülerwerkstatt.
Für ihre Schüler, in der Regel zwischen zwölf und 16 Jahre alt und „quer durch alle Schichten”, entwickelt sie individuelle „Zukunftsvisionen”. Dazu gehört die Suche nach der künftigen Schule, dem möglichen Abschluss, dem Beruf. Davor steht ein Jahr harte Arbeit: An fünf Tagen in der Woche, von morgens bis nachmittags, arbeitet die zehnköpfige Gruppe in einem Hinterhaus am Wildenbruchplatz. An zwei Tagen steht Unterricht auf dem Programm, an zwei Tagen Werkraum-Arbeit, an einem Tag ein sozialpädagogisches Angebot mit „Fit for Life”-Trainings. Absprachen etwa übers pünktliche Aufstehen, Erscheinen oder Respekt gegenüber den Eltern werden auch gerne schriftlich festgehalten. Wer dagegen verstößt, kriegt eine Abmahnung. „Bei der zweiten”, stellt Barbara Rachow, „sieht es dann schlecht aus.”
Die Hälfte der bislang 90 betreuten Schulverweigerer, bilanziert Projektleiter Neuberg-Hahn bleibe bei der Stange. Sie kehrten zurück in eine Schule, sei es die alte oder eine neue, und hätten so wieder eine Chance auf einen Abschluss, eine Berufsausbildung. Diese Zahl, betont er, sei „weit höher als wir erwartet hatten”. Auch deshalb werden Anfang März fünf weitere Plätze eingerichtet.
Und wenn es nicht klappt mit der „2. Chance”? Die Tür, sagen die Verantwortlichen, sei bei einem Scheitern noch nicht zu; auch ein Neueinstieg ins Programm sei möglich und gar nicht ungewöhnlich. Und auch sie sei durchaus erfolgreich bei Schulschwänzern: die „3. Chance”.