Gelsenkirchen. Liegt der enorme Kostendruck bei den Heimen auch an der Trödelei der Ämter? Die Stadt sagt: Unsere Geduld wird auch auf die Probe gestellt.
- Die zögerlichen Pflegesatzverhandlungen sorgen für finanzielle Not bei den Pflegeeinrichtungen.
- Die Stadt Gelsenkirchen ist dabei einerseits in der Betroffenenrolle - auch bei den Seniorenhäusern der Stadt gibt es „große Sorgen“.
- Anderseits ist man selbst Ziel der Kritik, weil es Bearbeitungsstau in der Verwaltung gibt. Woran das liegt und wie es besser werden soll.
An die Kombination der Wörter „Pflege“ und „Krise“ hat man sich in Deutschland gewöhnt. Gegenwärtig geht es dabei allerdings nicht mehr vorrangig um die mittlerweile bessere Bezahlung der (immer noch viel zu wenigen) Pflegekräfte, sondern vielmehr um die finanzielle Notlage ihrer Einrichtungen, auch in Gelsenkirchen: Im März warf der hiesige Caritas-Verband, der drei Seniorenzentren betreibt, dem Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL) in der WAZ vor, seine Heime aufgrund verzögerter Zahlungen in den Ruin zu treiben – kein Einzelphänomen, wie sich jetzt im Fachausschuss für Soziales zeigte.
„Wir haben als Stadt Seniorenhäuser, die in ähnlicher Form betroffen sind. Das bereitet uns große Sorge“, sagte Sozialdezernentin Andrea Henze, die bei dem Thema eine knifflige Rolle einnehmen muss. Einerseits ist es ihr Sozialamt, das die Pflegesatzverhandlungen an den LWL mandatiert hat, ihm also die Aufgabe übertragen hat, die für die Einrichtungen entscheidenden Entgelte für Pflegeleistungen auszuhandeln.
Andererseits liegen die vier städtischen Seniorenhäuser, die ebenfalls auf zügiges Handeln des LWL angewiesen sind, in Henzes Vorstandsbereich. Und auch ihr dauert das Gesamtprozedere in der Betroffenenrolle offenbar zu lang. „Die Seniorenhäuser der Stadt haben sich auch mit anwaltlicher Hilfe geholfen“, sagte sie deshalb überraschenderweise im Sozialausschuss.
Zähe Verhandlungen in der Pflegebranche sorgen für finanzielle Sorgen
Allerdings bezog sich die Dezernentin dabei eher auf das vergangene Jahr, in dem die Verhandlungen noch langsamer vorangegangen seien. Offenbar konnte durch die Rechtsberatung also schon Druck aufgebaut werden. Dass es aus Trägersicht trotzdem immer noch viel zu lange dauert mit den Verhandlungen und man deshalb mit rund 100.000 Euro monatlich in Vorleistung treten müsse, das machte die Caritas gegenüber der WAZ deutlich.
Der LWL selbst argumentiert, dass die Verzögerung in erster Linie an der „steigenden Komplexität“ von Landes- und Bundesregelungen liege. Dabei geht es zum Beispiel um neue Regeln zur Tariftreue und Personalbemessung. Die höheren Personalkosten müssen dann durch die Pflegesätze irgendwie refinanziert werden, was die Verhandlungen mit den Einrichtungen logischerweise nicht einfacher macht. Die Folge ist der Bearbeitungsstau – dem man durch „vereinfachte Verfahren“ oder „kurzfristige Nachbesetzung offener Stellen“ entgegenwirken wolle, so der LWL.
Hilfen zur Pflege: Auch Bearbeitungsstau bei der Stadt Gelsenkirchen
Die Stadt ist mit ihren Seniorenhäusern übrigens nicht nur Betroffener in dieser Gemengelage, sie ist genauso Zielscheibe der Caritas-Kritik. „Auch wir haben einen Bearbeitungsstau bei uns in der Behörde“, musste Sozialdezernentin Henze im Ausschuss eingestehen, ergänzte dabei allerdings, dass dies in „allen umliegenden Städten“ nicht anders sei. „Es trifft nicht nur Gelsenkirchen.“
Auch interessant
Dabei geht es um Anträge auf Sozialhilfe bzw. Pflegewohngeld für Senioren, die von der Stadt bearbeitet werden und bei denen es laut Henze im Jahr 2022 eine durchschnittliche Bearbeitungszeit von siebeneinhalb Monaten gab. Eine spürbare Senkung habe man hier noch nicht herbeiführen können, da „viel komplexere Leistungsfälle“ auflaufen würden. Dabei gehe es um Vermögenswerte, Erbfolgen oder Wohneigentum in anderen Ländern.
Wenn die Stadt Gelsenkirchen Monate auf Banken und Versicherungen warten muss
Gerrit-Steffen Kuttler, Abteilungsleiter im Bereich Hilfe für Senioren und Pflegebedürftige, sprach von Bundes- und Landesregeln, die sich teilweise sogar widersprächen, verwies aber auch auf Probleme bei der Mitwirkungspflicht. „Wir sind auf eine Fülle an Unterlagen angewiesen, die wir auch selbst beschaffen“, sagte er. „Aber wenn sie bei Versicherungen oder Banken nach Monaten überhaupt mal eine Rückmeldung bekommen, dann kommt man einfach nicht weiter.“ Durch Checklisten mit allen notwendigen Unterlagen, bessere Service-Zeiten und mehr versuche man Tempo in den Prozess zu bekommen. „Aber es ist ein sehr starres Unterfangen“, fasste es Henze zusammen.
Auch interessant
Kuttler plädierte deshalb dafür, die Ämter bei der Bearbeitung zu entlasten. Dabei unterstützt die Gelsenkirchener Stadtverwaltung die Position des Städtetages NRW, der sich Ende 2023 „wegen seiner fehlenden Wirksamkeit“ für eine Abschaffung des Pflegewohngeldes ausgesprochen hat. Investitionskosten der Pflegeeinrichtungen (bspw. für die Instandhaltung) werden in der Regel von den Pflegebedürftigen getragen. Wenn diese aufgrund eines geringen Einkommens und Vermögens nicht in der Lage sind, die Investitionskosten selbst zu tragen, können Sie hierfür einen Zuschuss erhalten – das ist das Pflegewohngeld. Anträge hierfür nicht mehr bearbeiten zu müssen, „würde uns in der Praxis sehr helfen“, sagte Kuttler.
Rentner können ihren Eigenanteil bei der Pflege oft nicht stemmen - gerade in Gelsenkirchen
Aber wären die Leidtragenden dann nicht die Pflegebedürftigen? „Wenn wir das abschaffen wollen, dann darf es nicht zum Nachteil der Pflegebedürftigen ausfallen“, bekräftigte Kuttler. Denkbar sei zum Beispiel, eine solche Entlastung für die Betroffenen aus einem anderen Topf bezahlen zu lassen und sie nicht länger in städtischer Verantwortung zu lassen. Denn die Summe, die die Stadt für die Hilfen zur Pflege aufbringen muss, steigen jedes Jahr deutlich.
Im Haushalt 2024 ist ein gigantischer Betrag von knapp 33 Millionen Euro für entsprechende Leistungen veranschlagt (darunter ist auch das Pflegewohngeld). Und laut Henzes Prognose wird sich die Situation sicher nicht bessern. Schließlich erhalten Rentner, die 35 Jahre eingezahlt haben, im Durchschnitt 1550 Euro Rente. Der Eigenanteil für einen Heimplatz beträgt aber häufig schnell 1000 Euro mehr. Was der Durchschnittsrentner in Deutschland also schon nicht allein stemmen kann, das wird er in einer besonders armen Stadt wie Gelsenkirchen noch weniger können.