Gelsenkirchen. Er ist der Größte Deutschlands: Gelsenkirchens Kanalhafen beeindruckt nicht nur durch seine schieren Ausmaße. So ist dort die Arbeit vor Ort.

„Achtung! Eine Länge noch – und Stopp.“ Die Stimme von Rangierbegleiter Murat Erkul dröhnt aus dem Funkgerät am Fahrerstand der großen Diesellok. Domenic Winkel ist konzentriert bei der Sache. Der angehende Lokführer schaut aus dem offenen Fenster, rangiert das kraftvolle Gefährt ganz vorsichtig und folgt den Anweisungen seines Kollegen – unter den wachsamen Augen von Cüneyt Cindoruk, der seit Jahren als Lokführer für Gelsen-Log im Gelsenkirchener Stadthafen unterwegs ist.

Spannende und exklusive Einblicke in Gelsenkirchens Kanalhafen

Das städtische Tochterunternehmen übernimmt eine Schlüsselfunktion in der Logistik des größten Kanalhafens der Republik: Die 33 Mitarbeiter sind zum einen zuständig für die letzte Meile zwischen dem Güterbahnhof und den Unternehmen im Stadthafen. Zum anderen bewegen die Männer mit drei Dieselloks die vielen Waggons auch auf kleinen Distanzen.

Das Gleisnetz im Gelsenkirchener Stadthafen erstreckt sich über 15 Kilometer – mit 52 Weichen.
Das Gleisnetz im Gelsenkirchener Stadthafen erstreckt sich über 15 Kilometer – mit 52 Weichen. © Gelsenkirchen | Michael Korte

So wie jetzt: Da ist das Trio mit der „Lok des Wassers“, künstlerisch gestaltet mit Wassermotiven, auf dem Gelände von BP im Einsatz. Große Waggons sind hier mit Benzin gefüllt worden und werden nun umgestellt. Ein paar Meter weiter stehen auf einem weiteren Gleis mehrere Waggons, die mit den Dreien schon einen ordentlich langen Zug bilden.

15 Kilometer Gleisnetz in Gelsenkirchens Hafen – mit 52 Weichen, die ständig umgelegt werden müssen

Apropos Gleis. Davon ist der Stadthafen recht voll. Das Gleisnetz für den Schienenverkehr erstreckt sich über 15 Kilometer – mit 52 Weichen. Sie müssen ständig umgelegt werden. Auch das ist die Aufgabe des Rangierbegleiters. Immer wieder muss er dafür runter von der Lok, die Weichen stellen, mitunter noch eine Ampelanlage bedienen, warten, bis die Lok durch ist und dann wieder aufsteigen. Das sieht nicht nur aus wie ein Knochenjob, es ist einer.

Der angehende Lokführer Domenic Winkel (links) und Lokführer Cüneyt Cindoruk rangieren konzentriert die Diesellok durch den Gelsenkirchener Stadthafen.
Der angehende Lokführer Domenic Winkel (links) und Lokführer Cüneyt Cindoruk rangieren konzentriert die Diesellok durch den Gelsenkirchener Stadthafen. © FUNKE Foto Services | Michael Korte

„Lokführer im Hafen zu sein, das ist die eigentliche Arbeit. Von A nach B zu fahren, das ist nicht anspruchsvoll, da sitzt man nur. Viele wollen das lieber machen. Ich nicht. Hier muss man sich viel mehr konzentrieren“, sagt Cüneyt Cindoruk. Der 28-Jährige ist gelernter Streckenlokführer, kann also Züge durchs ganze Land fahren. „Ich habe früher beides gemacht.“ Bis er sich dann vor rund anderthalb Jahren für die Arbeit im Stadthafen entscheidet. „Im Rangierbetrieb ist zudem das Gute, dass wir wissen, nach acht Stunden ist Feierabend.“

Dafür jedoch gilt hier der Schichtbetrieb. Zwei Tage lang geht es in die Frühschicht, zwei Tage in die Spätschicht, danach zwei Tage in die Nachtschicht. „Wenn man eine Familie hat, ist das schon anstrengend“, schildert Domenic Winkel. „Man hat eigentlich nur ein Wochenende im Monat frei. Und Feiertage gibt es auch nicht.“ Die Männer und ihre Loks sind nämlich täglich für die Unternehmen im Hafen im Einsatz, rund um die Uhr. Wobei: „Nachts ist meist weniger los“, sagt Cüneyt Cindoruk und meint, so schlimm seien die nächtlichen Einsätze also nicht.

Rangierbegleiter Murat Erkul schließt in Gelsenkirchens Stadthafen die Schienensperre per Hand auf, damit die Lok die Straße queren kann.
Rangierbegleiter Murat Erkul schließt in Gelsenkirchens Stadthafen die Schienensperre per Hand auf, damit die Lok die Straße queren kann. © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Jetzt geht es runter vom BP-Gelände, am Hafenbecken entlang, über die Straße und in die andere Richtung. Es sind ganz besondere Einblicke in ein spannendes Berufsbild und Ausblicke auf das Hafengelände. Oftmals sind die Räume ganz eng. Etwa wenn es vorbeigeht an langen Zügen auf Abstellgleisen und riesigen Firmengebäuden. An einer anderen Stelle auf dem Gelände müssen die Männer noch ein Tor schließen.

Hafen feiert in diesem Jahr 110. Jahrestag

Der Gelsenkirchener Stadthafen wurde im Juli 1914 gegründet und feiert demnach in diesem Jahr seinen 110. Geburtstag. Er gilt als führendes multimodales Verkehrszentrum in der Emscher-Lippe-Region und ist den Umschlagmengen nach der größte Kanalhafen Deutschlands. Insgesamt liegt der Stadthafen Gelsenkirchen den Umschlagmengen nach auf dem achten Platz der Binnenhäfen bundesweit.

Jeder Mensch in der Stadt weiß, wo der Hafen ist, kennt die Schrottberge, die man sieht, wenn man über die Uferstraße fährt – und kaum jemand hat eine Vorstellung, wie groß dieses Industriegebiet am Wasser ist und wie facettenreich die dort beheimateten Unternehmen sind. In rund 60 Firmen sind etwa 2500 Mitarbeitende tätig. Auch in den räumlichen Dimensionen kann der Hafen beeindrucken: Die Fläche erstreckt sich über 1.200.000 Quadratmeter (120 Hektar) und ist in zwei Hafenbecken aufgeteilt. Das Becken des Handelshafens misst 500 mal 75 Meter, das Becken des Industriehafens 900 mal 60 Meter. Die Wassertiefe beträgt dreieinhalb Meter. Die Kaianlage ist 2,8 Kilometer lang.

In einer neuen Serie bietet die WAZ Gelsenkirchen Einblicke in dieses Industriegebiet, stellt sowohl ansässige Firmen vor als auch Menschen, die dort arbeiten.

Dann weist Cüneyt Cindoruk noch auf ein paar Schilder am Wegesrand hin. Das eine ist ein Tempolimit, sagt, dass hier nur zehn Kilometer pro Stunde gefahren werden dürfen. Das zweite ist die Aufforderung, Signal zu geben. Jetzt kreuzt die Lok wieder eine Straße. Das erfordert viel Umsicht und Vorsicht – und lautes Hupen. Derweil dröhnt wieder eine Stimme aus dem Funkgerät. Dieses Mal ist es der Disponent. Er sitzt in der Zentrale und verteilt die Aufträge. „Er sagt uns, was wir tun sollen und wir melden über Funk, wie weit wir damit sind“, erklärt Cüneyt Cindoruk. Zudem sei der Funk wichtig, um Unfälle zu vermeiden, wenn mal zwei Loks gleichzeitig im Einsatz sind.

Beliebter Arbeitsplatz: Jeder Tag ist anders, immer wieder warten neue Herausforderungen im Gelsenkirchener Stadthafen.
Beliebter Arbeitsplatz: Jeder Tag ist anders, immer wieder warten neue Herausforderungen im Gelsenkirchener Stadthafen. © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Jetzt wird über Funk abgestimmt, wie es weitergeht. Die Männer müssen nun nach Bismarck fahren zum Bahnhof. Dort warten wieder neue Aufgaben auf das Trio. „Das ist das Schöne an unserem Beruf: Jeder Tag ist anders“, sagt Domenic Winkel. Immer warten neue Herausforderungen, meint auch Cüneyt Cindoruk. Er hat hier seinen Traumberuf gefunden.

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