Gelsenkirchen. Spezialkräfte haben Chemie-Lager ausgehoben. Ein Mann und eine Frau sitzen in U-Haft. Zu angeblichen Funden von Granaten schweigt die Justiz.

Gegen 6 Uhr am Dienstagmorgen stürmten Spezialeinsatzkräfte der Polizei zwei Wohnungen und eine Lagerhalle in den Stadtteilen Gelsenkirchen-Resse und -Erle. Hintergrund des Zugriffs sind Ermittlungen der Behörden gegen einen 58-jährigen Mann und eine 59-jährige Frau, die im großen Stile Chemikalien gehortet haben sollen. Gegen das Paar wurde nach Angaben der Staatsanwaltschaft Essen am Mittwoch Haftbefehl erlassen, beide säßen in Untersuchungshaft.

Nach Hinweisen auf den unrechtmäßigen Erwerb und/oder Handel mit Gefahrstoffen, griffen die Beamten nach „intensiven Vorermittlungen“ an zwei Wohnobjekten in der Recklinghauser Straße und Brukterer Straße sowie einer Lagerhalle im Gewerbegebiet Reginaweg zu, wie Polizei und Staatsanwaltschaft erklärten.

Spezialkräfte der Polizei rücken in Gelsenkirchen aus

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    Unklar war anfangs noch, ob mit den Chemikalien Sprengstoff oder Drogen hergestellt werden könnten. Erste Hinweise ergeben nach Angaben der Staatsanwaltschaft jedoch „keinen Verdacht auf die Herstellung von Sprengsätzen“. Aus gut unterrichteten Kreisen indes wird berichtet, dass es sich bei den Chemikalien um „ätzende und brennbare Basis-Substanzen“ handele. Je nach Mischung könnten sie auch zur Explosion gebracht werden. Auch die Herstellung synthetischer Drogen - etwa die Zombiedroge Crystal Meth - sei wohl möglich.

    Am Mittwoch gab die Staatsanwaltschaft bekannt, dass in „den selbstgebauten Laboren keine Sprengmittel zusammengesetzt“ worden seien, sondern die Labore dienten der Herstellung von Betäubungsmitteln.

    Ein Handwerksmeister und unmittelbarer Nachbar berichtete kurz nach dem Zugriff der Spezialkräfte am Dienstag, dass es morgens helle Aufregung gegeben habe, als die Einsatzkräfte in dem braunen Haus auf mehrere „Panzergranaten“ gestoßen seien. Die Staatsanwaltschaft hat dies bislang noch nicht offiziell bestätigt, auch nicht, ob es sich um scharfe Munition gehandelt hat. „Wir können dazu aus ermittlungstaktischen Gründen noch nichts sagen“, erklärte ein Sprecher am Mittwoch auf Nachfrage.

    Kurz nach dem das mit Atemschutzmasken ausgestattete Spezialeinsatzkommando in eines der Objekte eingedrungen war, wurde ein Mann in schwarzer Jogginghose, weißem Unterhemd und mit einer schwarzen Augenbinde von Elitepolizisten in ABC-Schutzanzügen vorläufig festgenommen, wie ein Sprecher der Gelsenkirchener Polizei auf WAZ-Nachfrage bestätigt. Auch die Frau wurde vorläufig festgenommen. Derzeit befinden sich die Behörden noch in Abstimmung darüber, ob Untersuchungshaft angeordnet wird.

    Der Zugriff erfolgte im Morgengrauen. Spezialeinsatzkräfte stürmten unter Atemschutz das Haus in Gelsenkirchen.
    Der Zugriff erfolgte im Morgengrauen. Spezialeinsatzkräfte stürmten unter Atemschutz das Haus in Gelsenkirchen. © Justin Brosch | Justin Brosch

    Zu den Spekulationen um den möglichen Verwendungszweck der Chemikalien erklären Polizei und Staatsanwaltschaft: „Bei den Durchsuchungen wurden verschiedene Chemikalien und Substanzen sowie Utensilien, die auf selbstgebaute Labore hinweisen, aufgefunden.“ Die Polizei stellte verdächtige Gegenstände sicher und untersucht diese.

    Aus Sicherheitsgründen seien aber auch Sprengstoffexperten des Landeskriminalamtes, sowie Experten der Feuerwehr aus Dortmund und Köln von der sogenannten „Analytischen Taskforce“ vor Ort gewesen. Und auch die Kräfte des Spezialeinsatzkommandos, die in unmittelbarer Nähe warteten, trugen Atemschutzmasken.

    Zugriff in Gelsenkirchen: Ein Mann und eine Frau stehen im Verdacht, im großen Stil gefährliche Chemikalien gehortet zu haben.
    Zugriff in Gelsenkirchen: Ein Mann und eine Frau stehen im Verdacht, im großen Stil gefährliche Chemikalien gehortet zu haben. © Justin Brosch | Justin Brosch

    Die Recklinghauser Straße wurde in Höhe der Hertener Straße zeitweise auf einer Strecke von mehreren Hundert Metern durch die Polizei gesperrt. Die Polizei war mit starken Kräften vor Ort und sorgte jederzeit für die Sicherheit aller Menschen. „Eine Gefahr für die Bevölkerung bestand zu keinem Zeitpunkt“, hieß es.

    Bis in die Mittagsstunden schleppten Mitarbeitende von Bergungsunternehmen kistenweise Material aus dem Haus, darunter Kanister und Flaschen mit dem Flammensymbol - ein Hinweis auf den entzündbaren Inhalt. Sie berichteten zudem, dass ein Auto abgeschleppt worden sei und dass unter anderem auch „etliche mehr als armdicke Kupferkabel“ abtransportiert worden seien.

    Blick in einen Transporter eines Bergungsunternehmens: Kanister mit dem Flammensymbol aus dem Haus an der Recklinghauser Straße stehen zum Abtransport bereit.
    Blick in einen Transporter eines Bergungsunternehmens: Kanister mit dem Flammensymbol aus dem Haus an der Recklinghauser Straße stehen zum Abtransport bereit. © WAZ | Nikos Kimerllis

    Den Nachbarn zufolge habe der 58-Jährige und die 59-Jährige ein eher zurückgezogenes Leben in dem stark renovierungsbedürftigen Haus an der Recklinghauser Straße geführt. Rechts und links sind die Häuser hell und freundlich hergerichtet und modernisiert worden, Wärmepumpen surren vor sich hin. Das braune Haus zwischen ihnen sticht mit seinen teils mit Draht vergitterten oder mit Holzplatten vernagelten Fenstern da schon hervor. Im Hinterhof des Hauses stapelt sich Baumaterial, Autositze stehen neben einem alten Aufsitzrasenmäher, Pflastersteinen, Farbeimern und Baugerätschaften.

    Blick in den Hinterhof des Hauses an der Recklinghauser Straße. Spezialeinsatzkräfte sind dort auf große Mengen Chemikalien gestoßen. Nachbarn berichten, dass die beiden Festgenommen ein eher zurückgezogenes Leben geführt hätten.
    Blick in den Hinterhof des Hauses an der Recklinghauser Straße. Spezialeinsatzkräfte sind dort auf große Mengen Chemikalien gestoßen. Nachbarn berichten, dass die beiden Festgenommen ein eher zurückgezogenes Leben geführt hätten. © WAZ | Nikos Kimerlis

    Nachbarschaftliche Beziehungen hat es umliegenden Anwohnern zufolge mit den beiden festgenommenen Gelsenkirchenern „kaum gegeben“. Allenfalls ein kurzes Hallo, einen Small Talk im Vorbeigehen. Auffällig gewesen sei die Sammelleidenschaft der beiden. Und die Unordnung, weswegen man es lieber vermied, den Kontakt auszubauen. Zusteller hätten zudem öfter Pakete bei ihnen abgeben wollen, die Annahme habe man aber verweigert. Es seien einfach zu viele Sendungen geworden.