Gelsenkirchen. Das politische Klima wird rauer, was nicht zuletzt an den wachsenden Umfragewerten der AfD liegt. Warum dieser Mann die Partei dennoch verließ.

Die Unzufriedenheit vieler Bürgerinnen und Bürger mit den politischen Entscheidungsträgern in Deutschland wächst zusehends. Eine Krise jagt die nächste, eine Zäsur folgt auf die andere. Nutznießer dieser Entwicklung ist vor allem die AfD, eine Partei, die in Teilen als gesichert rechtsextrem eingestuft wird, und bei den drei Landtagswahlen in Ostdeutschland in diesem Jahr als stärkste Kraft hervorgehen könnte. Deutschland droht ein politischer Rechtsruck, wie ihn große Teile der Welt bereits seit einigen Jahren erleben.

„Darum habe ich die AfD-Gelsenkirchen verlassen“

Aber Thorsten Pfeil hat sich dagegen entschieden, auf der Erfolgswelle mitzuschwimmen. Zu weit rechts, zu extrem, zu völkisch, findet der ehemalige Stadtverordnete der AfD seine alte Partei, die er Mitte 2023 verließ. Kurz vor Weihnachten ersuchte er dann bei der hiesigen CDU um Mitgliedschaft. Die Christdemokraten haben sich die Entscheidung nicht leicht gemacht, sich die Zeit genommen, den Kandidaten kennenzulernen, ihn zu prüfen – und sich schließlich entschieden, Pfeil aufzunehmen.

AfD-Fraktionschef Jan Preuß hingegen sieht Pfeils Austritt als größte kommunalpolitische Fehlleistung 2023 und behauptet, er habe die Ratsfraktion „ohne vorausgegangene erkennbare inhaltliche Differenzen“ verlassen sowie „haltlose, unbewiesene, aus der Luft gegriffene Vorwürfe der Radikalisierung“ erhoben.

Haltlos? Aus der Luft gegriffen? „Nein“, sagt Thorsten Pfeil im Gespräch mit der WAZ Gelsenkirchen. 2019 ist der Beamte in die Partei eingetreten, „aus Unwissenheit, Unerfahrenheit und Frust.“ Mit der Zeit sei ihm aber immer deutlicher geworden, dass die AfD immer extremer geworden sei. Vor allem mit dem wachsenden Einfluss des thüringischen AfD-Chefs Björn Höcke, der sogar laut Gerichtsurteil Faschist genannt werden darf. „Mit den konservativen Werten, nach denen ich erzogen worden bin und die ich lebe, hat das nichts zu tun“, sagt Pfeil. Diese sehe er hingegen bei der CDU „absolut bestätigt.“

Erfahrungen als Rauschgiftfahnder mit kriminellen Migranten und die Enttäuschung über die Politik

Als Rauschgiftfahnder habe Pfeil in seinem früheren Job oft die Erfahrung gemacht, „insbesondere Klientel mit Migrationshintergrund festzunehmen, die dann zwei Wochen später wieder freigelassen wird und dasselbe macht wie vorher“. Diese Erfahrung habe ihn geprägt. Zu jener Zeit habe er sich bei der Migrations- und Ordnungspolitik von den etablierten Parteien nicht vertreten gefühlt.

Seine Zeit bei der AfD sieht Pfeil heute als „Abbiegung vom rechten Weg“, zu dem er jetzt bei der CDU zurückgefunden habe. Die Jahre nach der Flüchtlingskrise ab 2015 unter Angela Merkel hätten ihn zu der „falschen Annahme geführt“, die AfD könnte die richtige Partei für ihn sein, wie der 49-Jährige sagt. Doch statt der für ihn wichtigen konservativen Werte, zu denen er neben Disziplin, Höflichkeit und Ordnung auch Solidarität zählt, habe er die AfD hauptsächlich als „völkisch“ kennengelernt, wiederholt Pfeil, ohne näher auf den Begriff einzugehen.

Als AfD-Mitglied politisch isoliert

Dass er als Mitglied der AfD-Stadtratsfraktion darüber hinaus weitestgehend politisch isoliert war, es selten um die Sache und häufig nur um populistische Effekthascherei gegangen sei, habe seinen Entschluss, die AfD zu verlassen, weiter verstärkt. Auf sein Privatleben habe sich seine Mitgliedschaft in der AfD nicht nennenswert ausgewirkt, behauptet Pfeil. Er habe zwar eine gewisse Zurückhaltung seiner Freunde und Bekannte in Gesprächen mit ihm erfahren, aber keine Ablehnung. So ähnlich dürften auch die Reaktionen bei der Gelsenkirchener CDU ausgehen haben, als der Antrag auf Parteimitgliedschaft einging.

Sascha Kurth, Partei- und Fraktionschef der CDU Gelsenkirchen.
Sascha Kurth, Partei- und Fraktionschef der CDU Gelsenkirchen. © FUNKE Foto Services | Oliver Mengedoht

„Natürlich war das ein besonderer Fall“, gibt Parteichef Sascha Kurth zu. Nach Gesprächen mit Thorsten Pfeil und aufgrund der positiven Erfahrungen mit ihm als Vorsitzenden des Kulturausschusses, habe der CDU-Vorstand aber einstimmig beschlossen, Pfeil aufzunehmen. „Wir wollen damit auch Wählern deutlich machen, dass der Weg zur CDU natürlich offen ist, wenn man sich mal zur AfD verirrt hat“, so Kurth. Gleichwohl gäbe es für die Christdemokraten in Gelsenkirchen auch klare Grenzen. So würde man sicher nicht jedes Mitglied der AfD-Ratsfraktion bei der CDU aufnehmen, macht Kurth deutlich, ohne öffentlich Namen zu nennen.

Pfeil, der aktuell als Fraktionsloser im Rat sitzt, soll allerdings nicht auch sofort festes Mitglied der CDU-Fraktion werden. Pfeil werde zunächst eine „Hospitation“ in der Fraktion machen, erklärte Kurth. Sollte es dann ebenso wenig kritische Stimmen geben wie im Parteivorstand, dann dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis die Gelsenkirchener Ratsfraktion der Union bald auf 21 Mandatsträger anwachsen wird.