Gelsenkirchen-Ückendorf. Ein irres Tempo schlagen Frank Goosen und Jochen Malmsheimer in Gelsenkirchen ein. Die Tresenleser sind Kult und haben mächtig Nachholbedarf.

Rückkehr ausgeschlossen? Das haben schon andere Größen doch noch abgebogen. Spätestens seit der Schwergewichtslegende Muhammad Ali weiß die Welt, da geht noch was. Zu hoch gegriffen? Kaum, denn die beiden auf der Bühne der Heilig-Kreuz-Kirche starten damit, dass ihnen die gesamte Ära von Angela Merkel durch ihre Bühnen-Abstinenz als Duo durch die kabarettistischen Lappen gegangen ist. Jetzt aber sind die Tresenleser zurück: Eine Feierstunde für Jochen Malmsheimer und Frank Goosen.

Die 22 Jahre währende Trennung der beiden endete ausgerechnet im Rahmen der Corona-Beschränkungen, und so tingeln die Wortakrobaten wieder gemeinsam durch die gar nicht so veränderte Republik. Wobei sie kaum merklich durchblicken lassen, was neu und was alt (und bewährt) ist in ihrem Programm. Das soll eigentlich „Endlich in Hengenbengen!“ heißen, aber tatsächlich verstecken sie den Begriff eher.

In Gelsenkirchen entwickelt sich ein verbales Kurzpass-Spiel

Dafür kann sich die Fangemeinde in der ausverkauften Heilig-Kreuz-Kirche auf das verbale Kurzpass-Spiel mit Endlos-Sätzen und Anleihen an alle möglichen oder unmöglichen sprachlichen Vorbilder oder Feindbilder freuen. Und honoriert das von Anfang an mit Kichern und Glucksen.

Ein bisschen aus dem Takt: „Thekentreten“ rutscht es Frank Goosen (r.) beim Tresenlesen mit Jochen Malmsheimer in Heilig-Kreuz-Kirche in Gelsenkirchen heraus.
Ein bisschen aus dem Takt: „Thekentreten“ rutscht es Frank Goosen (r.) beim Tresenlesen mit Jochen Malmsheimer in Heilig-Kreuz-Kirche in Gelsenkirchen heraus. © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Auf Gelsenkirchener Boden darf gönnerhaft Frank Goosen sogar sein Lieblingsthema, Fußball, ausbreiten, auch wenn er aus seiner Passion für die Blau-Weißen des Nachbarstadt-Clubs VfL Bochum keinen Hehl macht. Immerhin schmeichelt er: „Ohne euch Schalker fehlt ja schon ganz schön ‘was in der ersten Liga. Ihr müsst wieder aufsteigen, ihr A...geigen.“

Allerdings teilt er genauso aus und erinnert an zwei Niederlagen in einer Saison, „und dafür müssten wir euch ja eigentlich mal wieder mit 4:0 aus eurer Turnhalle kicken“. Offenbar darf er das heute und es sind nicht nur strenggläubige Königsblaue im Publikum.

Im Wechsel und gemeinsam schwadronieren, persiflieren und kommentieren Goosen und Malmsheimer, und sie lesen nicht etwa vom Tablet ab, sondern sind ihren Kladden treu geblieben. Etwa so: „Wenn die Gattin meint: Viel Spaß im Stadion, und trink nicht wieder so viel. Antwort: Ja, watt denn nu?“

In 22 Jahren sind die Tresenleser sogar um die Merkel-Ära herumgekommen

Treu ist vor allem Malmsheimer auch seiner Vorliebe für nicht enden wollende Satzkonstrukte geblieben, die er außerdem in einem Tempo vorträgt, bei dem ihm eigentlich die Luft ausgehen müsste. Aber er kriegt jedes Mal die Kurve, so sehr vermeintlich auch der Kollaps droht oder er sich in seine XXXL-Formulierungen verstricken müsste.

Die Tresenleser lassen so wortgewaltig aberwitzige Bilder entstehen, übertreiben, verdrehen und überspitzen jedes vermeintlich noch so alltägliche Geschehen. Ebenso bringen sie im Jahrzehnte-Rückblick („Wir sind ja eher Zeit-Schrankwände dieser Dual-Dekade als Zeitkapseln“) die Dinge dergestalt auf den Punkt, dass deren vormalige Tragweite schwindet. So aus der Chronik: „2008, Nokia geht, der Dalai Lama kommt. Jetzt kannst Du mit beiden nicht mehr telefonieren.“

Fehlen darf auch nicht das groteske Heimwerken von Jochen Malmsheimer und der Versuch, einen Kleiderschrank aufzubauen. Spitzen gegen ein nicht genanntes schwedisches Möbelhaus gehören dazu, auch wenn eben der Schrank heimischer Produktion entstammt sein soll.

Frank Goosen steuert ebenso sicher einige der trockenen Zitate seiner „Omma“ bei, die ihn als Lebensweisheiten noch immer begleiten und manchmal die Augen öffnen. Wie: „Wenn die Sonne weg ist, wird’s frisch.“ Dazu beteuern die Tresenleser: „Das ist alles wahr, aber das ist auch passiert.“ Wie konnte die Welt 22 Jahre ohne solche Erkenntnis existieren? In der Heilig-Kreuz-Kirche aalen sich Malmsheimer und Goosen im brandenden Schlussapplaus.