Gelsenkirchen. Bei der Pro-Palästina-Demo in Gelsenkirchen versammeln sich rund 150 Teilnehmende. Laut Polizei bleibt es friedlich.
Dutzende Fahnen in den Farben Schwarz, Weiß, Grün und Rot flattern im kalten Wind. Dauerregen prasselt aus dem grauen Oktober-Abendhimmel auf die rund 150 Demoteilnehmer hernieder, die sich auf dem Bahnhofsvorplatz versammelt haben. Die Kernbotschaft, die sie in den folgenden 80 Veranstaltungsminuten permanent skandieren, lautet: „Freiheit für Palästina!“ Zu antisemitischen Hassparolen wie 2021 vor der Neuen Synagoge kommt es diesmal nicht.
Polizeipräsenz in der Gelsenkirchener Altstadt ist sicht- und spürbar
Freitagnachmittag, kurz vor 17 Uhr. Auf der Bahnhofstraße ist spürbar weniger los als an vergleichbaren Tagen. An fast jeder Abzweigung zu einer Seitenstraße ist ein Mannschaftswagen der Polizei zu sehen. „Wir haben Kräfte der Einsatzhundertschaften zusammengezogen, sowohl aus Gelsenkirchen als auch aus einigen Nachbarstädten“, erklärt Thomas Nowaczyk, Sprecher der Polizei Gelsenkirchen. Wie viele Beamte genau vor Ort sind, verrät er aus einsatztaktischen Gründen nicht. Doch die Polizeipräsenz, sie ist ebenso sicht- wie spürbar.
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Treffpunkt für die Pro-Palästina-Demo, die ein Gelsenkirchener Bürger angemeldet hat, ist der Bahnhofsvorplatz in der Altstadt. Sofort fällt auf, dass sich unter den Teilnehmenden zahlreiche Frauen und jüngere Menschen tummeln. Viele von ihnen tragen ein Palästinensertuch. Manche klassisch um den Hals, andere haben sich ein Kopftuch als Schutz vor dem Regen daraus gebunden. Viele jüngere Männer haben eine Fahne um ihre Schultern gehängt. Andere tragen Luftballons. Und das alles in den Farben Palästinas. Doch auch Fahnen der linksextremen MLPD und von AUF sind zu erkennen. Deren Mitglieder haben auch große Transparente mit solidarischen Botschaften mitgebracht.
Grundatmosphäre ist nicht von Aggressivität oder Zorn geprägt
Die Grundatmosphäre ist nicht von Aggressivität oder Zorn geprägt. Bei jedem der Rednerinnen und Redner, die nacheinander ans Mikrofon treten, ist viel mehr eine Mischung aus Unmut und Verzweiflung zu verspüren. „Wir sind keine Antisemiten. Wir sind auch nicht hier, um Hass zu schüren“, behauptet einer der Redner gleich zu Beginn. Es sei nun aber an der Zeit, sich zu vereinen, um die Palästinenser zu schützen. Dass aber der Nahost-Konflikt erst durch den terroristischen Angriff der Hamas auf Israel mit über 1300 Toten derart eskaliert ist, wird mit keiner Silbe erwähnt.
In der Folge singen und skandieren die Teilnehmenden Parolen wie „Gaza, Gaza ist in Not – keine Wasser, keine Brot!“ Zufällig vorbeilaufende Passanten ignorieren die Demonstranten. Die Polizeikräfte haben fast keinen Grund, um einzugreifen. „Wir haben lediglich zwei Verstöße gegen das Vermummungsverbot angezeigt“, zog Polizeisprecher Nowaczyk am Abend eine positive Bilanz. Zudem wurde ein Plakat mit strafbarem Inhalt gezeigt. Es habe sich insgesamt um eine friedliche Veranstaltung gehandelt.
Reaktion der SPD Gelsenkirchen im Vorfeld der Demo
Im Vorfeld der Demo hatte sich die SPD Gelsenkirchen zu Wort gemeldet: „Die Hamas hat einen terroristischen Angriff gestartet, der unentschuldbar ist. Wir denken in diesen Stunden an die vielen Menschen, die ihre Leben verloren haben, verletzt, verschleppt und entführt wurden. Unsere Gedanken sind bei den Menschen, die sich in diesen schrecklichen Stunden um ihre Angehörigen und Freunde in Israel sorgen“, heißt es in der Pressemitteilung.
Mit Blick auf die bundesweit durchgeführten Pro-Palästina-Demos ließ der geschäftsführende Vorstand der hiesigen Sozialdemokraten verlauten: „Wir als SPD Gelsenkirchen halten die durchgeführten Demos der Pro-Palästina-Gruppe Samidoun auf unseren Straßen für inakzeptabel und geschmacklos. Eine Situation wie am vergangenen Wochenende in Berlin darf sich nicht wiederholen. Terror und Gewalt sind kein Anlass zur Freude und haben in unserer Gesellschaft keinen Platz. Wir werden es nicht akzeptieren, dass diese abscheulichen Taten auf unseren Straßen gefeiert und bejubelt werden.“
Keine offizielle proisraelische Gegendemonstration in Gelsenkirchen
Auf X (ehemals Twitter) wurde am Freitagnachmittag dazu aufgerufen, „den antisemitischen Parolen der Samidoun-Bewegung entgegenzutreten“. Zu einer offiziellen Gegendemonstration am Bahnhofsvorplatz oder symbolischen Aktion vor der Neuen Synagoge ist es aber nicht gekommen.
„Unsere Kapazitäten haben das nicht hergegeben, deswegen hätten wir uns gefreut, wenn sich die Demokratische Initiative (DI) bewegt hätte“, sagte der Sprecher der Initiative gegen Antisemitismus Gelsenkirchen. In der DI sind 29 Organisationen (u.a. Parteien, Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften) Mitglied, Schirmherrin ist OB Welge. Man werde in der Nachbetrachtung erörtern, warum sich aus der Initiative niemand bewegt habe, um Verantwortung für eine eigene Demo zu übernehmen, heißt es seitens des Sprechers.
Bei der jüdischen Gemeinde, deren Mitglieder um 18 Uhr einen Gottesdienst in der Neuen Synagoge feierten, zeigte man durchaus Verständnis, dass es so spontan zu keiner Gegenaktion gekommen ist. „Ich halte das dennoch für sehr wichtig und hoffe, dass in den nächsten Tagen noch etwas passiert“, sagte Slava Pasku, die neue Vorsitzender der Gemeinde.