Gelsenkirchen. Gelsenkirchens Apotheker und Kinderärzte warnen vor dem Herbst und Winter. Nicht nur der anhaltende Medikamentenmangel macht die Lage ernst.
- Im vergangenen Winter und Frühjahr gab es in Gelsenkirchen einen teils dramatischen Medikamentenmangel, insbesondere bei Fieber- und Schmerzsäften sowie Antibiotika.
- Gelsenkirchens Apothekersprecher Christian Schreiner äußert sich besorgt über die anhaltende Knappheit von Medikamenten, insbesondere für Kinder. Er erwartet nicht, dass sich die Situation schnell verbessert.
- Der Gelsenkirchener Kinderarzt Dr. Christof Rupieper teilt die Bedenken hinsichtlich der Medikamentenknappheit. Er warnt gleichzeitig vor der nahenden Grippewelle und dem RS-Virus, das besonders für Säuglinge gefährlich werden kann. Eltern sollten im Krankheitsfall Ruhe bewahren und auf klein gedrückte Schmerz- und Fiebermittel in Tablettenform zurückgreifen.
Es war eine mehr als prekäre Lage im vergangenen Winter und Frühjahr, die vor allem Eltern an ihre Grenzen gebracht hat: Dringend benötigte Fieber- beziehungsweise Schmerzsäfte und Antibiotika waren Mangelware in Gelsenkirchens Apotheken. „Das ist eine ganz große Katastrophe“ hatte Apotheker Christian Schreiner noch im April gegenüber der WAZ gesagt. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat nachjustiert, die Bundesregierung ein Gesetz gegen Lieferengpässe bei Arzneimitteln beschlossen – zuletzt warnte der Minister vor „Hamsterkäufen“. Und die Lage vor Ort? Ist nach wie vor: nahezu unverändert.
Medikamentenmangel in Gelsenkirchen: „Wo nichts ist, können wir auch nichts bestellen“
„Wir sehen ganz große Lücken in der Arzneimittelversorgung auf uns zukommen“, so Christian Schreiner dieser Tage im Gespräch mit der Redaktion. Der Sprecher der hiesigen Apothekerschaft ist „erstaunt“ über die Äußerungen Lauterbachs „Wo nichts ist, können wir auch nichts bestellen“, führt Schreiner weiter aus. Der erfahrene Apotheker sei derzeit „sehr skeptisch“, was die Versorgung mit Medikamenten, vor allem mit den Präparaten für Kinder, in den kommenden Monaten angeht.
Er schränkt jedoch ein: „Es ist sicherlich total schwierig, eine Prognose abzugeben.“ Der Experte weiß aber, dass die einzelnen produzierenden Pharmaunternehmen eine teils sehr lange Vorlaufzeit für die Produktion brauchen, „teilweise ein bis zwei Jahre“. Und Schreiner sagt auch: „Ich kann mir kaum vorstellen, dass jetzt auf einmal schlagartig diese Mengen wieder verfügbar sein werden.“
Medikamentenmangel: „Alles in Bewegung setzen, um pragmatisch zu helfen“
Das Engpass-Bekämpfungs-Gesetz sieht unter anderem vor, dass Apothekerinnen und Apotheker beispielsweise ein wirkstoffgleiches Arzneimittel abgeben können, wenn das verordnete Medikament nicht verfügbar ist. Außerdem soll es größere Vorräte für bestimmte wichtige Medikamente als bisher geben, für Kinderarzneimittel werden die Preisregeln gelockert. „Das erleichtert es uns, das ist gut“, so Schreiners Bewertung.
Was rät der Apotheker dann Eltern, die beunruhigt auf die kommenden Wochen blicken? „Auf keinen Fall Hamsterkäufe - dann wird es denen weggenommen, die es viel nötiger brauchen“, so Christian Schreiner. Und er versichert: „Die Eltern müssen den Kinderärzten und Apothekern vertrauen: Wir werden alles in Bewegung setzen, um ganz pragmatisch zu helfen.“
„Es ist mehr als ärgerlich, dass es zu Engpässen kommt“, ordnet Dr. Christof Rupieper die Lage ein. Vereinzelt würden in seiner Kinderarztpraxis schon Eltern nachfragen, ob sie Medikamente bevorraten sollen. Da Antibiotika verschreibungspflichtig sind, werden sie nicht auf Vorrat verordnet. Im vergangenen Jahr hätten fast alle Apotheken Kindersäfte selber aus Tabletten hergestellt, erinnert sich der Kinderarzt. Bei Schmerz- und Fiebermitteln könne man durchaus, besonders ab dem Schulalter, auch auf Tabletten zurückgreifen, die man dann klein drückt oder mörsert und unter das Essen oder in ein Getränk mischt. Bei Fragen zur Dosierung könne der Arzt oder Apotheker Auskunft geben.
„Gewöhnliche, aber nicht weniger harmlose Grippewelle“ kommt auf Gelsenkirchen zu
Zurzeit, so berichtet der Sprecher der hiesigen Kinderärzte, sieht er nur wenige Kinder mit einer so- genannten „Sommergrippe“ in seiner Praxis, seit gut einer Woche auch wieder häufiger Scharlach. „Hier stellen wir aber fest, dass das gute alte Penicillin nicht ausreichend verfügbar ist und öfter auf ein Breitbandantibiotikum zurückgegriffen werden muss“, sagt Rupieper.
Um die Entwicklung der kommenden Wochen etwas abschätzen zu können, zieht der Mediziner aktuelle Daten aus Australien heran - das Virus werde sich hier ähnlich verhalten wie auf der anderen Seite der Erdhalbkugel, das wisse man aus langjährigen Beobachtungen, erläutert Rupieper. Sein Fazit: „Es rollt aller Voraussicht nach eine gewöhnliche, aber nicht weniger harmlose Grippewelle auf uns zu. Es wird durchschnittlich viele Erkrankungen, Krankenhausaufenthalte und Todesfälle geben besonders bei vorerkrankten Menschen.“ Die australischen Daten zeigten auch, dass das Grippevirus besonders für Kinder gefährlich sei – am häufigsten seien demnach Kinder im Alter von fünf bis neun Jahren erkrankt.
Tipp vom Gelsenkirchener Kinderarzt: Schmerz- und Fiebermittel in Tablettenform klein drücken
Neben der Grippe bereite den Kinderärzten aber vielmehr das sogenannte RS-Virus Sorgen, das erfahrungsgemäß nahezu zeitgleich mit Grippewellen auftritt und besonders für Säuglinge lebensbedrohend sein kann. Im vergangenen Jahr kam es bei Rupieper zu dramatischen Verläufen, wonach es in seiner Praxis zwölf Notarzteinsätze gab, „bei denen die Kleinen unter Sauerstoffgabe direkt auf die Intensivstation gebracht wurden“. Bei einer Infektion mit dem RS-Virus helfen weder ein Antibiotikum, noch Kortison, noch Inhalation – „man kann nur Sauerstoff geben. Die Kinderintensivstationen werden wohl wieder volllaufen“, so Rupiepers Prognose.
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Er rät dazu, dass Eltern im Krankheitsfall Ruhe bewahren, die meisten Infekte seien viraler Natur und könnten nicht mit einem Antibiotikum behandelt werden. Und gibt es wieder Engpässe bei Schmerz- und Fiebersäften, sollten Eltern auf Ibuprofen und Paracetamol in Tablettenform aus der Haus-Apotheke zurückgreifen.