Gelsenkirchen-Bismarck. Sie sind immer da, bei Wind und Wetter, jeden Tag: die Straßenwärter der Autobahnmeisterei Gelsenkirchen. Für den Job braucht’s Nehmerqualitäten.
Stopp ist nie, die Straßenwärter der Autobahnmeisterei Gelsenkirchen setzen im Prinzip die Geschichte des Sisyphos mit nie endender Arbeit fort – nur eben in der heutigen Zeit. Als eine Art Hausmeister für die pulsierenden Verkehrsadern in und um Gelsenkirchen. Ein ewiger Kreislauf aus Kontrolle, Reparatur und Sicherung auf mehreren Hundert Kilometern – auch über die Emscherstadt hinaus. Und das seit exakt 50 Jahren.
So richtig einig, ob Auto- und Lastwagenfahrer denn nun Freund oder Feind sind, sind sich die Mitarbeitenden der Autobahnmeisterei nicht. Wenn man mal genauer hinsieht, wie nah die 40-Tonner an ihnen vorbeidonnern, während sie sich beispielsweise auf dem Seitenstreifen einrichten – den großen blinkenden Pfeil auf dem Laster ausfahren, der auf die Gefahr hinweist, Pylonen, Warnbaken oder Schilder aufstellen – dann kann man verstehen, dass sie zumindest teilweise von „Gefahr“ reden. Gebremst wird heutzutage nämlich kaum, die Spur gewechselt nur selten.
Andererseits wollen die Kolonnen von Michael von Scherenberg, er leitet den Standort an der Reckfeldstraße 1, eigentlich nur, dass jeder Verkehrsteilnehmer, der da zwischen Herne, Recklinghausen, Bochum, Essen, Bottrop und Gelsenkirchen unterwegs ist, sicher an sein Ziel kommt. Und allseits für freie Fahrt sorgen, dieser Job endet nie.
So gefährlich ist der Job bei der Autobahnmeisterei: Beinahe jährlich tödliche Unfälle
Die 34 Mitarbeitenden, die für die Autobahnmeisterei an der Ausfahrt Gelsenkirchen-Bismarck arbeiten, sind für insgesamt 150 Kilometer Autobahn verantwortlich: Ihr Revier sind die A 40 (in etwa zwischen Dortmund und Gelsenkirchen-Süd), A 42 (Dortmund bis Bottrop) und A 43 (Recklinghausen bis Bochumer Kreuz) sowie die A 448 (Südumfahrung Bochum). Dazu kommen noch etwa 120 Brücken, 5 Autobahnkreuze, 41 Anschlussstellen und 60 Kilometer Lärmschutzwand.
Die Aufgaben der Autobahnmeistereien sind grundsätzlich sehr vielfältig. Die Frauen und Männer in Orange halten unter anderem die Strecken frei von allzu üppig wucherndem Grün, überprüfen Brücken, reparieren Schutzplanken und Schlaglöcher, erneuern Bodenmarkierungen, reinigen und sanieren Fahrbahnen und sichern Tagesbaustellen ab. Etwa, wenn die Fahrbahndecke auf der Autobahn kurzfristig erneuert wird. Größere Sanierungen plant und vergibt dagegen die Abteilung Bau der Autobahn GmbH des Bundes. Besonders wichtig ist auch der Winterdienst.
Enrico Hollwig (31) und Thorsten Japp (33) lieben ihren Job trotz aller Widrigkeiten. „Unser Beruf ist vielseitig, man ist viel draußen“, sagen die beiden, mit großen Trimmern in der Hand, mit den sie an Steilhängen das Grün auf die gewünschte Höhe kürzen. Gerade jetzt ist die Zeit des umfangreichen Grünschnitts. Parallel dazu frisst sich ihr Kolonnenführer Markus Nagel im Aufsitzmähwagen durch meterhohe Büsche und Sträucher.
Mindestgeschwindigkeit auf der A 42, wenn Schalke spielte, sonst drohte Stillstand
Einer der Straßenwärter, der noch genau weiß, wie es zum Start 1973 in Bismarck gewesen ist, ist der 78-jährige Ernst Langenbach. „Man konnte hier von der A 42 auf die alte Glückauf-Kampfbahn runterschauen“, erzählt Langenbach, der 2006 in den Ruhestand gegangen ist. „Wenn Schalke gespielt hat, mussten wir immer die Standspur sperren und eine Mindestgeschwindigkeit aufstellen. Sonst haben die Leute da mit ihren Autos auf der Autobahn gestanden und zugeschaut.“
Vor 50 Jahren gab es bundesweit nur knapp 17 Millionen Kraftfahrzeuge (davon rd. 14 Millionen Pkw), heute sind es etwas über 60 Millionen (davon rd. 50 Millionen Pkw). Der enorme Verkehrszuwachs brachte für die Bundesangestellten ein wachsendes Risiko mit sich – daher wird viel Energie und Geld in Sicherheit gesteckt. Denn der Job ist gefährlich. Die Bilanz ist schrecklich. „Pro Jahr gibt es im Durchschnitt einen tödlichen Unfall in Deutschland“, weiß von Scherenberg. Allein im vergangenen Jahr sind im Einzugsgebiet der Niederlassung Westfalen 40 Bedienstete verletzt worden.
Vom Fahnenschwenker über Winkemännchen „Johannes“ bis zum heutigen „Rambo“
Wo in den Anfängen ein Straßenwärter mit einer Fahne auf der Straße stand, und den Verkehr lenkte, war es Jahre später ein automatisches „Winkemännchen“, Johannes genannt, ein Aufsteller mit Blinklicht und Fahnenschwenkmechanismus. Heute undenkbar und viel zu riskant, übersehen zu werden bei den schier endlos langen Blechlawinen. Große, mobile Warntafeln mit riesigen LED-Anzeigen übernehmen heute Warnung und Lenkung der Autofahrer.
Und wo heute der Baumschnitt per App nachgehalten wird, standen früher Warnbaken mit Petroleumlampe – weil es keine Funkgeräte gab, musste sich im Winter der Schichtleiter noch selbst ins Auto setzen und auf der Autobahn seine Mitarbeiter im Schneepflug suchen, um ihnen neue Anweisungen zu geben.
Deutschland und erst recht das Ruhrgebiet sind zudem gespickt mit Transitstrecken für Waren aus aller Welt. Der viele Schwerlastverkehr erfordert es, sich vor Auffahrunfällen besser zu schützen. Die Aufgabe übernimmt „Rambo“. Er sprengt und ballert sich aber nicht wie sein Kino-Pendant den Weg frei, sondern der neuartige Aufpralldämpfer raubt dem Einschlag eines tonnenschweren Lastwagens mit einem Aluminiumkissen die Energie. Nicht weniger futuristisch ist der Mähroboter, den die Autobahnmeisterei heute einsetzt, ein computer- und GPS-gesteuertes Raupenfahrzeug mit sehr gefräßigen Klingen.
Wünsche an Autofahrer: Rücksicht nehmen, Rettungsgasse bilden und Müll nicht in die Landschaft werfen
Um all die Aufgaben zu erledigen, wird auf dem mehrere Hektar großen Gelände der Autobahnmeisterei, neben dem frühere Mitarbeiter und heutige Ruheständler in fünf kleinen schmucken Häusern leben (Stichwort: Reaktionsgeschwindigkeit) ein großer Fuhrpark unterhalten, nebst eigener Tankstelle und Streusalzschuppen.
Garagen und Hallen sind voll mit Gerätschaften – von der Motorsense bis hin zum Unimog-Multitalent, der mal mit Bürsten- oder Schneidekopf oder auch mit einem Soletank für eisige Winter aufgerüstet werden kann. Bagger, Hubsteiger, Hunderte Schilder und Leitpfosten, eimerweise Kaltasphalt und noch viel mehr ergänzen Dutzende Lager – Millionen wert.
„Leitpfosten werden am laufenden Band umgefahren“, erzählt Michael von Scherenberg beim Jubiläumsrundgang vom Alltag der Straßenwärter. Wenn er drei Wünsche zum runden Geburtstag der Autobahnmeisterei äußern dürfte, dann wären es diese Appelle an alle Autofahrer: „Geht runter vom Gas und nehmt Rücksicht im Verkehr, auch auf uns, bildet bei Gefahr eine Rettungsgasse und vor allem: Schmeißt euren Müll nicht in die Landschaft.“
Mehr als 1400 Beschäftigte bei Niederlassung Westfalen
Die Niederlassung Westfalen mit ihrem Hauptsitz in Hamm erstreckt sich vom niedersächsischen Emsland über das Ruhrgebiet bis ins nördliche Hessen. Zur Niederlassung mit ihren mehr als 1.400 Beschäftigten gehören die fünf Außenstellen Osnabrück, Bochum, Hagen, Netphen und Dillenburg, zwei Projektbüros sowie 18 Autobahnmeistereien.
Derzeit werden am Standort Gelsenkirchen fünf angehende Straßenwärter ausgebildet. Aufstiegsmöglichkeiten sind vorhanden. Auch Quereinsteiger werden genommen, vorausgesetzt, sie haben eine handwerkliche Ausbildung abgeschlossen. Das Bruttogehalt zum Start liegt im Schnitt bei etwa 3200 Euro, Schichtdienste, Bereitschaften und Co. werden zusätzlich vergütet. Info: www.autobahn.de
Auf dem Gelände der Autobahnmeisterei stehen große Container, sie sind randvoll mit allerlei Sperr- und Sondermüll, darunter auch bergeweise Autoreifen. Ein altes und immer wiederkehrendes Problem in Gelsenkirchen. Beispiel Rhein-Herne-Kanal und Resser Wald: rund um Parkplätze, Pumpwerk und Forststützpunkt werden in erschreckender Regelmäßigkeit tonnenweise Abfall abgeladen.
Insofern sind wir wieder beim Ausgangspunkt der Geschichte. Bei Enrico Hollwig, Thorsten Japp und ihren Kolleginnen und Kollegen. Ihr Arbeitsrhythmus aus Kontrolle, Reparatur und Sicherung wird stetig um eine mühevolle Plackerei erweitert: Müllsammeln. Hört anscheinend nie auf – wie das Steinschleppen bei Sisyphos.