Gelsenkirchen. Die Zahl der Katholiken in Gelsenkirchen ist im freien Fall. Stadtdechant Pottbäcker überrascht das nicht. Aber etwas ist anders als früher.

970 Kirchenaustritte zählte das Bistum Essen 2022 in Gelsenkirchen: Diese Zahl markiert den bisherigen Höhepunkt vor Ort – und zugleich einen dramatischen Tiefpunkt, wie Stadtdechant Markus Pottbäcker offen zugibt. Denn noch nie in der Geschichte der Emscherstadt haben so viele Katholiken der Kirche den Rücken gekehrt, noch nie seit Gründung des Bistums gab’s hier so wenige Mitglieder. Als Gründe nennt der Propst der Großpfarreien St. Augustinus und St. Urbanus die gleichen wie im Vorjahr. Und doch hat sich etwas verändert.

72.910 Gläubige gehörten 2022 zum Stadtdekanat Gelsenkirchen. Das sind 2213 weniger als noch 2021 (75.123). 2012 zählte Gelsenkirchen noch 87.555 Katholiken. Abwärts ging es auch mit der Zahl der Taufen: 418 Neuaufnahmen verzeichnete Gelsenkirchen 2022, also 101 weniger als 2019. 2012 waren es 502. Katholisch bestattet wurden im Vorjahr 827 Verstorbene (2019: 922; 2012: 1155).

Einzig die Zahl katholischer Trauungen schnellte 2022 in Gelsenkirchen in die Höhe

Dass die Zahl der katholischen Trauungen von 36 in 2021 auf 83 nach oben schnellte, sei der Coronakrise geschuldet, so Pottbäcker. „Zum Ende der Pandemie holten offenbar viele Paare ihre Hochzeit nach, die in den Vorjahren nicht möglich gewesen war.“ 2012 hatten noch 100 Paare den kirchlichen Segen für ihre Ehe erbeten.

Das Bistum Essen führt diese Mitgliederentwicklung einerseits auf demografische Faktoren – mehr Beerdigungen als Taufen – und einen Überhang an Fort- gegenüber Zuzügen zurück. Es begründet den bistumsweiten Schwund aber auch mit „der außergewöhnlich hohen Zahl an Kirchenaustritten“: 2012 waren nur 277 Gelsenkirchener aus der katholischen Kirche ausgetreten – 2022 jedoch 922.

Eine neue Entwicklung gibt Gelsenkirchener Stadtdechant zu denken

„Diese rückläufigen Zahlen verzeichnen wir schon seit Jahren. Sie überraschen mich auch in dieser Deutlichkeit gar nicht“, kommentierte Propst Pottbäcker auf Nachfrage. Da seien zum einen finanzielle Gründe für die Kirchenaustritte, zumal in einer Stadt wie Gelsenkirchen mit seiner hohen Arbeitslosigkeit. „Zum anderen sind die Menschen aber auch enttäuscht, wie die Amtskirche mit den Missbrauchsfällen umgeht.“

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Neu sei: Mittlerweile kehrten auch einst in den Gemeinden verwurzelte, engagierte Katholiken der Kirche den Rücken mit Verweis auf Kardinal Woelki. „Wenn Rom den Osnabrücker Weihbischof Franz-Josef Bode sofort entlässt, Kardinal Woelki aber nicht, entzaubert das den als Reformpapst geltenden Franziskus“, so Pottbäcker weiter. Und: „Viele Mitglieder differenzieren nicht zwischen der Kirche in Gelsenkirchen und der in Deutschland oder der Welt.“

Wie der Gelsenkirchener Propst das Vertrauen von Gläubigen wiedergewinnen will

Stadtdechant und Propst Markus Pottbäcker aus Gelsenkirchen bedauert die vielen Kirchenaustritte sehr. Überrascht haben ihn die Zahlen aber nicht.
Stadtdechant und Propst Markus Pottbäcker aus Gelsenkirchen bedauert die vielen Kirchenaustritte sehr. Überrascht haben ihn die Zahlen aber nicht. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Dabei gerate die Kirche vor Ort in einen Teufelskreis: „Auch weil weniger Leute die Gottesdienste besuchen und austreten, müssen wir Kirchen schließen. Das wiederum provoziert weitere Austritte von frustrierten Gläubigen.“

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Tatenlos zusehen, wie das Tempo des Mitgliederschwunds zunimmt, wollten die Verantwortlichen in Gelsenkirchen allerdings nicht: Die Kirchenschließungen auszusetzen, sei keine Option. „Sonst droht uns eine Insolvenz. Wir müssen vielmehr versuchen, neues Vertrauen aufzubauen durch unseren Umgang mit den Missbrauchsfällen und in der Arbeit vor Ort, etwa in Kitas.“