Gelsenkirchen-Buer. Eine Glocke aus Gelsenkirchen-Buer wurde jetzt in ihre alte Heimat nach Polen zurückgebracht. Was die polnische Kirchengemeinde plant.
„Ich bekomme immer noch eine Gänsehaut, wenn ich daran denke.“ Propst Markus Pottbäcker, Pfarrer der katholischen Urbanus-Gemeinde in Gelsenkirchen-Buer, beschreibt den Moment, als die bisherige Wandlungsglocke aus der Mariä-Himmelfahrt-Kirche am Dienstagabend zum ersten Mal in ihrer neuen, alten Heimat, der St. Hedwigs-Kirche im polnischen Radoszowy zu hören war. Es war das Ende eine fast 1000 Kilometer langen Reise, die die Glocke wieder an ihren Ursprungsort zurückführte – nach mehr als 80 Jahren.
Wenn die Glocke reden könnte – sie könnte viel erzählen, ihre bewegte Geschichte reicht mehr als 400 Jahre zurück. Gegossen wurde sie im Jahre 1616. Das ist einer Inschrift zu entnehmen, die sich oben um die ganze Glocke herumzieht: „Gott ist mein Trost, der mich erlöst“, steht da, daneben das Datum des Gusses und der Name des Glockengießermeisters: Adam Schraub.
Anfang der 1950er-Jahre kam die Glocke nach Gelsenkirchen-Buer
Nach ihrem Guss fand die Glocke ihren Platz im Turm der Kirche St. Hedwig im oberschlesischen Radoschau. Schlesien gehörte damals noch zu Böhmen und somit zu Österreich. Im 18. Jahrhundert eroberte die Armee Friedrichs II. Schlesien – Radoschau kam zu Preußen und somit später zum Deutschen Reich. Im Zweiten Weltkrieg brauchte Hitlers Wehrmacht Metall, dazu wurden auch Kirchenglocken gesammelt, viele wurden eingeschmolzen. Dieses Schicksal blieb der Radoschauer Glocke zum Glück erspart: Zusammen mit anderen Glocken landete sie nach dem Krieg auf einem Sammelplatz in Hamburg, dem „Glockenfriedhof“.
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Von dort kam sie nach Gelsenkirchen. Im Ruhrgebiet wurden in den 1950er-Jahren viele neue Kirchen gebaut, sie alle brauchten Glocken. Auch die Kirche St. Mariä Himmelfahrt in Buer. Zunächst hing die Radoschauer Glocke im Turm der 1954 fertiggestellten Kirche, als wenige Jahre später ein neues Geläut angeschafft wurde, diente sie fortan als Wandlungsglocke und stand im Altarraum. Als Mariä Himmelfahrt 2021 außer Dienst gestellt wurde, fand sie in der Hasseler St. Michael-Kirche eine neue Heimat.
Mit vier Leuten die Glocke in die polnische Kirche getragen
Als Recherchen der Kirchenzeitung „Neues Ruhrwort“ die wahre Herkunft der Glocke ans Licht brachten, stand für Propst Markus Pottbäcker sofort fest: Die Glocke muss zurück nach Polen. Die Urbanus-Gemeinde nahm Kontakt mit den Verantwortlichen in Radoszowy, wie Radoschau inzwischen heißt, auf – nachdem alle Formalitäten geklärt waren, machte sich eine kleine Gruppe um Pottbäcker am Dienstag nach Ostern auf den Weg nach Polen.
„Als wir Dienstag am frühen Abend in Radoszowy ankamen, haben wir die Glocke sofort aus unserem Bus in die Kirche getragen“, berichtet Pottbäcker. Vier Leute waren nötig, um die knapp 150 Kilogramm schwere Glocke zu bewegen – als sie dann in der Kirche stand, schlug Pfarrer Grzegorz Sonnek sie zum ersten Mal an, und es kam zu jenem bewegenden Moment. „Nach über 80 Jahren ertönte ihr Klang zum ersten Mal wieder dort, wo sie hingehört – und wir durften dabei sein“, schwärmt der Propst aus Buer.
Polnische Gemeinde will neuen Glockenturm bauen
An den folgenden Tagen wurde die Delegation aus Buer „überhäuft mit Gastfreundschaft“, erinnert sich Pottbäcker. Die polnischen Gastgeber hätten sich vor allem sehr darüber gefreut, dass der Entschluss, die Glocke zurückzugeben, von deutscher Seite aus gekommen sei. „In der Regel ist es umgekehrt, und die Gemeinden aus Polen fragen in Deutschland an, was aus ihren Glocken geworden ist“, so Pottbäcker. Am Mittwoch gab es ein Treffen mit dem inzwischen emeritierten Oppelner Erzbischof Alfons Nossol im Wallfahrtsort St. Annaberg: Nossol hatte sich in den 1980er- und 1990er-Jahren stark für die Versöhnung zwischen Polen und Deutschen eingesetzt.
Am Donnerstag wurde die Glocke dann im Rahmen eines feierlichen Gottesdienstes offiziell an die Gemeinde in Radoszowy übergeben. Genau wie in Buer soll die Glocke dort zunächst als Wandlungsglocke dienen – aber wohl nur vorübergehend. „Die dortige Gemeinde plant, demnächst einen neuen Glockenturm zu bauen“, berichtet Pottbäcker.
Für ihn steht fest: Die Kontakte, die während der Reise nach Polen geknüpft wurden, sollen bestehen bleiben. „Ein Gegenbesuch in Buer ist schon angedacht“, sagt der Propst. Für ihn war die Aktion vor allem eins: „Ein wichtiges Zeichen der Versöhnung.“