Gelsenkirchen. Am Dienstag fand in Gelsenkirchen im Rahmen des Verdi-Streiks eine Großkundgebung statt. So reagieren Eltern und Verkehrsteilnehmer.
Es fahren keine Busse, keine Bahnen, der Verkehr in der Innenstadt staut sich angesichts der Tausenden Demonstrierenden, die über verschiedene Routen ihren Weg zum Heinrich-König-Platz suchen. Der Müll wird nicht abgeholt, die ohnehin zu wenigen Termine in den Bürgercentern der Stadt fallen aus und die Kitas bleiben weitestgehend geschlossen – schon wieder.
Die Gewerkschaft Verdi hat abermals zu Streiks aufgerufen. Drei Großkundgebungen in NRW gibt es – eine davon in Gelsenkirchen. Der Stadt, deren Oberbürgermeisterin Karin Welge auch die Präsidentin der kommunalen Arbeitgeberverbände ist. Doch wie steht es um den Rückhalt bei den betroffenen Bürgern, vor allem bei Eltern, die wieder und wieder alternative Betreuungsmöglichkeiten für ihre Kinder organisieren müssen, weil insbesondere auch der Sozial- und Erziehungsdienst wieder bestreikt wird?
„Prinzipiell habe ich Verständnis dafür, dass man für seine Interessen streikt. Allerdings hat es gleichzeitig einen großen Einfluss auf alle anderen Beschäftigten, die nichts damit zu tun haben und durch die Streiks direkt betroffen sind. Nicht alle Arbeitgeber haben Verständnis dafür, dass man zu spät kommt, weil gestreikt wird, oder man nicht weiß, wie das Kind betreut werden kann“, berichtet eine Mutter, die namentlich nicht genannt werden will, unserer Redaktion.
„Kinder von berufstätigen Eltern sollten Anspruch auf Betreuung haben“
Die sogenannten „Bedarfsgruppen“ helfen ihr nicht weiter, weil diese nicht immer in der „eigenen Kita“ angeboten werden. „Meine Tochter beispielsweise kommt mit solchen Veränderungen nicht gut zurecht. Es sollte wenigstens in jeder Kita eine Bedarfsgruppe zur Verfügung stehen. Ich finde es wirklich anstrengend, mich kurzfristig neu organisieren zu müssen, Termine zu verschieben und meinem Chef sagen zu müssen, dass die Betreuung meines Kindes mal wieder nicht gewährleistet ist. Als arbeitende Mutter hat man es sowieso schon schwer.“
Ähnlich argumentiert auch eine Erzieherin im Gespräch mit der WAZ Gelsenkirchen. „Ich finde es gut und wichtig, dass gestreikt wird, um unsere Interessen durchzusetzen. Allerdings finde ich es gerade für Familien, in denen beide Elternteile Vollzeit berufstätig sind und zudem auch die Großeltern teilweise noch arbeiten, eine enorme zusätzliche Belastung.“ Viele Familien hätten nicht die Möglichkeit, spontan ihr Kind von den Großeltern oder anderen Verwandten betreuen zu lassen, geschweige denn die Möglichkeit, Homeoffice zu machen oder die Kinder mit zur Arbeit nehmen zu können. „Ich bin der Meinung, dass die Betreuung der Kinder von berufstätigen Eltern während eines Streiks gewährleistet sein muss. Und das sage ich nicht nur als Mama, sondern auch als Erzieherin, die sehr viel Wert auf die Elternarbeit und Elternbegleitung legt.“
Pflegerin betroffen vom Streik in Gelsenkirchen. „Dann bleibt heute jemand unversorgt“
Betroffen sind an diesem Tag nicht nur Eltern junger Kinder. Am Revierpark, wo einer von vier Demozügen gestartet ist, hält sich das Verkehrschaos am Morgen zwar in Grenzen – denn viele Autofahrer, die auf der Nienhauser Straße und Feldmarkstraße von Essen nach Gelsenkirchen unterwegs sind, setzen angesichts der streikenden Massen umgehend zum Wendemanöver an. Unter ihnen sind allerdings auch einige, die sich einen Umweg nur schwer leisten können: „Jeder muss ja für seine Rechte einstehen“, sagt eine Essenerin, die für einen ambulanten Pflegedienst unterwegs ist und von der gesperrten Feldmarkstraße kalt erwischt wurde. „Aber wenn ich nicht zu meinem Patienten komme, bleibt heute wieder jemand unversorgt.“
Ob sie auch auf der Straße wäre, wenn es um ihre Branche gehen würde? „Schon“, sagt sie. Aber mehr Gehalt zu fordern, so wie es die vielen Beschäftigten im öffentlichen Dienst gerade tun, löse die Probleme in der Pflege ohnehin nicht. „Es fehlen ja unglaublich viele Leute. Und wo sollen die herkommen?“, sagt die Essenerin, und blinkt ebenfalls links fürs Wenden. Ob sie über eine Alternativroute rechtzeitig zu ihrem Patienten in der Innenstadt kommt, fragt sie sich. Schließlich sind an diesem Vormittag weite Teile des Südens der Stadt im Ausnahmezustand, vom Schalker Verein, vom Schalker Bahnhof, vom Musiktheater, und eben vom Nienhauser Park ziehen die Streikenden zum Heinrich-König-Platz.
Polizei spricht von teils „chaotischen Zuständen“ auf der Straße
Wenig Verständnis hat dagegen ein Mann aus Hagen, der gerade mit dem Zug am Gelsenkirchener Hauptbahnhof angekommen ist und weiter nach Buer will – dass keine Bahnen fahren, hat er nicht mitbekommen. „Das nervt“, stöhnt er und macht sich auf die Suche nach einem Taxi.
Auf 18.500 schätzt die Gelsenkirchener Polizei die Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer: Polizeisprecherin Annika Langner sprach von „chaotischen Zuständen“ auf der Straße bei der Anreise, obwohl viele Streikende mit Bussen angereist waren, verstopften dennoch viele Autos die Straßen, freie Parkplätze waren in der Gelsenkirchener Innenstadt kaum zu finden. Ansonsten sei aber alles friedlich geblieben, sagte die Polizeisprecherin.
Das fordern die Gewerkschaften im Tarifstreit im Öffentlichen Dienst
Im bundesweiten Tarifkonflikt des öffentlichen Dienstes für Beschäftigte von Bund und Kommunen fordern Verdi sowie der Beamtenbund dbb 10,5 Prozent mehr Einkommen, mindestens aber 500 Euro mehr im Monat. Bei der zweiten Verhandlungsrunde hatte es trotz eines Arbeitgeberangebotes noch keine Annäherung zwischen den Tarifparteien gegeben. Die dritte Verhandlungsrunde beginnt am 27. März.