Gelsenkirchen. Der Gelsenkirchener Abdullah Ören packt selbst mit an, um in den zerstörten Erdbebengebieten in der Türkei zu helfen. Was er dabei erlebt.

Er ist müde, erschöpft und durchgefroren, aber darüber will er gar nicht lange reden. Was zählt sein eigener Gemütszustand schon angesichts der gewaltigen Zerstörung nach diesen Erdbeben, die Zehntausenden in der Türkei und in Syrien das Leben gekostet haben und noch viel, viel mehr Menschen obdachlos machten.

Der Gelsenkirchener Immobilienunternehmer Abdullah Örenist gleich nach dieser historischen Naturkatastrophe zusammen mit weiteren Unternehmern aus Gelsenkirchen und Dortmund ins Krisengebiet geflogen, um zu helfen, um selber Hand anzulegen. Seit einer Woche schon packt er an, entlädt Lkw mit Hilfsgütern, spendet Trost, während er selbst mit dem zu kämpfen hat, was er tagein tagaus erlebt: zerstörte Städte, Verletzte und Tote, Trauer, Wut, Ratlosigkeit und zugleich eine riesige Hilfsbereitschaft zahlloser Menschen aus allen Ecken des Landes und aus vielen Ländern dieser Welt.

Ören ist derzeit in Elbistan, dem Epizentrum des zweiten Bebens in der vergangenen Woche. Die Stadt hat 150.000 Einwohner, 100.000 Menschen sind Medienberichten zufolge in den Tagen nach dem Beben geflohen. Viele seien durch das erste Beben einige Stunden zuvor gewarnt worden. Dessen Epizentrum liegt nur ein paar Kilometer weiter. Deshalb seien die meisten Menschen in Elbistan rechtzeitig aus ihren Häusern raus. Trotzdem gibt es schon jetzt über 1000 Tote allein in Elbistan und eingestürzte Gebäude wohin man schaut.

„Hier ist viel Gelsenkirchener Hilfe unterwegs, dafür bin sehr dankbar“

„Ich habe noch nie in meinem Leben so viele Tränen vergossen wie in den vergangenen Tagen. Tränen der Trauer und der Freude“, sagt Ören, der ergriffen ist von der internationalen Hilfsbereitschaft und dem Schicksal der Betroffenen. Derzeit seien die Menschen in der Region, in der Ören ist, einigermaßen gut versorgt mit Nahrung und Sachspenden. Was fehlt, seien vor allem Wohncontainer, in denen die Menschen vorübergehend leben können. „Es sind zwar genug Zelte da, aber das ist nur eine Lösung für wenige Tage“, berichtet Abdullah Ören angesichts der Temperaturen, die nachts zweistellige Minusgrade erreichen.

Auch der Gelsenkirchener Zafer Sirakaya, Abgeordneter im türkischen Parlament, ist in der selben Region wie Abdullah Ören im Hilfseinsatz. „Hier ist viel Gelsenkirchener Hilfe unterwegs und viele Freunde, Bekannte und Partner aus Gelsenkirchen rufen täglich an und fragen, ob und wie sie uns vor Ort helfen können. Dafür bin ich so dankbar, ich bin stolz auf meine Heimatstadt im Ruhrgebiet“, sagt Ören.

Gelsenkirchener sammeln Spenden für Erdbebenopfer in Hatay

Und diese Hilfe wird in vielen Teilen des Landes benötigt. Ein Vergleich des WDR macht deutlich, wie groß das betroffene Gebiet in der Türkei und Syrien insgesamt ist. Auf Deutschland übertragen wären demzufolge weite Bereiche von Köln bis Sachsen-Anhalt schwer beschädigt. Und selbst in Hamburg und München wären die Erdstöße noch zu spüren gewesen.

Eine der am schwersten betroffenen Provinzen in der Türkei ist Hatay, weshalb der Gelsenkirchener Unternehmer Ender Ulupinar zusammen mit weiteren Gelsenkirchenern Spenden für die Menschen in der Region sammelt. Die Provinz gehört erst seit den dreißiger Jahren zur modernen Türkei. Davor war der zwischen Mittelmeer und syrischer Grenze gelegene Landstreifen französisches Mandatsgebiet. In der Altstadt gibt es neben den prächtigen Moscheen auch ein halbes Dutzend Kirchen und eine Synagoge.

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Augenzeugen berichten der WAZ von der Wut und der Verzweiflung vieler Betroffener in der Region, vom unermüdlichen Einsatz der Helfer, aber auch von chaotischen Zuständen. Ganze Straßenzüge liegen in Trümmern, überall stehen große Schutthaufen und die Menschen fürchten nach der ersten Katastrophe, dem Erdbeben, nun die nächste durch Krankheiten wegen unzureichender hygienischer Möglichkeiten. „In den Regionen, wo Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben, drohen irgendwann Seuchen“, warnen Katastrophenhelfer. Ungeborgene Leichen könnten das Wasser verunreinigen. Zudem haben Menschen an vielen Orten keinen Zugang zu Toiletten. Auch dadurch können Keime ins Grundwasser gelangen.

Nach den schweren Erdbeben in der Türkei und Syrien werden nur noch wenige Überlebende gerettet. Die Zahl der Toten stieg auf mehr als 35.000.
Nach den schweren Erdbeben in der Türkei und Syrien werden nur noch wenige Überlebende gerettet. Die Zahl der Toten stieg auf mehr als 35.000. © dpa | Murat Kocabas

Gleichzeitig nehmen Berichte über Plünderungen zu. „Wir sind verzweifelt, aber wir machen weiter, räumen Stein um Stein zur Seite, verteilen Decke für Decke, Suppe für Suppe“, schildert ein junger Mann in Antakya (Hatay) das, was ihm in manchen Momenten vorkomme wie ein hoffnungsloser Versuch seine Heimat aufrechtzuerhalten. „Eigentlich ist alles verloren“.

Zwar geschehen weiterhin kleine Wunder. Noch am Samstag wurde ein siebenjähriges Mädchen lebend aus den Trümmern geborgen. Doch die meisten Angehörigen wissen, dass es kaum noch Hoffnung gibt. Und noch immer werden viele Menschen vermisst.

Aus den Städten sind viele betroffene Menschen zu ihren Verwandten in andere Provinzen der Türkei gezogen. Die Familien helfen sich. Zugleich beginnen die türkischen Behörden obdachlose Anwohner aus der Region in andere Städte zu transportieren. Am Rand von Antakya organisiert ein großes „Krisenzentrum“ die Reisen.

Im Hilfseinsatz im türkischen Elbistan: Abdullah Ören.
Im Hilfseinsatz im türkischen Elbistan: Abdullah Ören. © AÖ | Foto

Derweil streift sich Abdullah Ören wieder seine dicken Handschuhe über, wuchtet den nächsten Heizgenerator von der Ladefläche eines Lkw auf seine Schulter. Der Gelsenkirchener ist müde und erschöpft, aber was zählt das schon, sagt er abermals. „Wir danken allen, die in dieser schwierigen Zeit Solidarität mit den Erdbebenopfern in der Türkei und in Syrien zeigen. Eure Unterstützung ist wertvoll und zeigt, dass wir zusammenhalten und füreinander da sind. Vielen Dank für eure Großzügigkeit“, sagt Ören, der Helfer aus Gelsenkirchen.