Gelsenkirchen. Sie sollen beschützen und retten, werden aber selbst immer öfter in Gelsenkirchen und anderen Städten angegriffen. Polizisten und Vollzugsbeamte.
Ein deutlicher Anstieg von Strafverfahren im Zusammenhang mit Angriffen auf Vollzugsbeamte ist für 2022 zu verzeichnen, wie die für Gelsenkirchen zuständige Staatsanwaltschaft Essen berichtet. Das Phänomen gibt es bundesweit und der Ruf nach härteren Strafen wird laut, wenn Polizei-, Zoll- und Ordnungskräfte und weitere Vollzugsbeamte wie Gerichtsvollzieher, aber auch die Retter der Feuerwehr oder Notfallsanitäter attackiert werden.
Angriffe auf Polizisten und Co.: Zahl der Strafverfahren um fast 25 Prozent gestiegen
„Im Jahr 2022 sind 952 Verfahren eingegangen“, wie Oberstaatsanwältin Anette Milk erklärt. Die Strafverfahren richteten sich insgesamt gegen 877 beschuldigte Frauen und Männer. Daraus lässt sich zumindest ein deutlicher Anstieg im Vergleich zum Jahr davor ableiten. In 2021 waren es 770 Strafverfahren und 906 Beschuldigte – demnach hat die Zahl der Verfahren um rund 24 Prozent zugenommen, die Zahl der Beschuldigten sank hingegen nur leicht um 3,2 Prozent.
Die Staatsanwaltschaft weist darauf hin, dass sie am 1. Januar 2022 eine Sonderzuständigkeit für diese Delikte eingerichtet hat. Durch eine geänderte Art der statistischen Erfassung sind aus Sicht der Behörde „die Zahlen möglicherweise nicht unmittelbar vergleichbar mit denen des Vorjahres“.
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Zur Einordnung: Zahlen aus Gelsenkirchen, etwa Angriffe auf Polizeikräfte, liegen nicht vor. Die Statistik der Staatsanwaltschaft erfasst alle Fälle in ihrem Einzugsgebiet, dazu gehören neben Gelsenkirchen noch acht weitere Städte. Zudem werden solche lokale Daten erst nach der Veröffentlichung der neuen Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) für NRW veröffentlicht. Und das ist Chefsache, Innenminister Herbert Reul (CDU) wird den bisherigen Planungen zufolge Mitte Februar die Lage im bevölkerungsreichsten Bundesland erläutern. Deshalb gab es keine Antwort vonseiten des Landeskriminalamtes in Düsseldorf und des Polizeipräsidiums Gelsenkirchen.
Angriffe auf Polizisten und Co.: Mehr als 70 Prozent der Verfahren landeten bei Gericht
In 373 Fällen (Vorjahr 2021: 362) wurden der Staatsanwaltschaft zufolge „Anklage erhoben“. Auffällig dabei ist: Es wurden 198 Strafbefehle beantragt, das ist deutlich mehr als zuvor, in 2021 waren es 83. In 73 Fällen (61) ist das Verfahren zum Stichtag noch nicht abgeschlossen. Eingestellt gegen Zahlung einer Geldauflage oder gegen Ableistung von Arbeitsstunden wurden vier Verfahren (13).
Vorläufig eingestellt worden sind – meist wegen unbekannten Aufenthaltes oder zwischenzeitlicher Abschiebung – laut Oberstaatsanwältin Anette Milk 67 Verfahren (2021: 75). Dazu kommen noch 167 endgültig gestoppte Verfahren (183). In 65 Fällen gelang kein Tatnachweis, in 40 Fällen beendete „Geringfügigkeit“ eine weitere Verfolgung, in zehn Fällen mussten sich Jugendgerichte mit den Vorwürfen weiter befassen.
„Von den 804 abgeschlossen Vorgängen sind insgesamt 571 gerichtlich anhängig gemacht worden“, zog Milk Bilanz. Das ist eine Quote von 71 Prozent.
Gewerkschaft besorgt über Verrohung: Steigende Tendenz, was die Aggressivität betrifft
Der Deutsche Feuerwehrverband forderte zuletzt nach den Silvesterangriffen auf Einsatzkräfte ein hartes Durchgreifen bei Angriffen auf Einsatzkräfte. „Der Staat muss dafür Sorge tragen, dass Feuerwehren, aber auch Rettungsdienste und Polizei als Vertreter des Staates nicht ohne harte Strafen angegriffen werden“, sagte der Verbandspräsident Karl-Heinz Banse. „Die Gesetze geben das her.“
Das verantwortet die Staatsanwaltschaft Essen
Die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft Essen bezieht sich auf den gesamten Landgerichtsbezirk Essen. Ihre Hauptaufgaben liegen in den Bereichen der Ermittlung und Verfolgung von Straftaten und der Strafvollstreckung. Ihr obliegt die Leitung der Ermittlungsverfahren. Als Anklagebehörde darf nur sie allein eine Anklage erheben und vor Gericht vertreten.
Der Zuständigkeitsbereich des Landgerichts Essen umfasst die Amtsgerichte Bottrop, Dorsten, Essen-Borbeck, Essen-Steele, Gelsenkirchen, Gladbeck, Hattingen und Marl.
Auch Michael Mertens, Chef der Gewerkschaft der Polizei (GDP) in Nordrhein-Westfalen hatte sich jüngst noch sehr besorgt über die zunehmende Verrohung gezeigt: „Es gibt eine steigende Tendenz, was die Aggressivität betrifft. Das macht unseren Dienst noch herausfordernder.“ Dass es immer mehr Arbeitsschutzmaterialien, wie Stich- oder Schusswesten, für Polizisten gebe, sei kein Zufall.
Und tatsächlich: Schaut man sich das letzte Lagebild des Bundeskriminalitätsamtes zur Thematik an, ist ein Rückgang von leichteren Straftaten gegen Polizisten zu sehen, während die schwereren Delikte deutlich zunehmen. So ging im Vergleich 2021 zu 2020 beispielsweise die Anzahl der einfachen Körperverletzungen deutlich zurück, die Fälle vom schweren oder gefährlichen Körperverletzungen ist jedoch um mehr als zehn Prozent angestiegen. Insgesamt wurden 39.649 Gewalttaten gegen Polizistinnen und Polizisten im Jahr 2021 registriert.