Gelsenkirchen-Bismarck. Tag eins nach dem Amok-Alarm in Gelsenkirchen: Die Polizei fahndet nach einem Täter, derweil bemüht sich die Schule um Normalität. Die Lage.
Am Tag später sieht es so aus, als wäre nichts gewesen. Wo am Mittwoch noch überall Polizeiwagen standen, wo mit Maschinenpistolen bewaffnete Polizisten die Straßen absperrten, ist Ruhe eingekehrt, taut der in der Nacht gefallene Schnee ungestört vor sich hin. Nur der Polizeiwagen, der vor der Evangelischen Gesamtschule Gelsenkirchen-Bismarck steht, deutet darauf hin, dass noch nicht wieder alles normal ist.
Am Mittwoch hatte es einen Großalarm an der Gesamtschule gegeben. Die Polizei hatte eine E-Mail erhalten, in der eine bislang unbekannte Person eine Amoktat ankündigte, offenbar wurden Lehrerinnen und Lehrer konkret namentlich bedroht. Weil die Polizei die Mail als durchaus ernstzunehmend bewertete, rückte ein Großaufgebot nach Bismarck aus. Beamte sicherten das Gebäude, eskortierten Lehrer und Schüler nach draußen und durchsuchten die Schule nach gefährlichen Gegenständen. Der Einsatz dauerte bis zum Nachmittag.
Nach Amok-Alarm: Notfallseelsorger weiter an der Schule für die Betreuung
Am Donnerstag blieben die Schülerinnen und Schüler der Gesamtschule zu Hause – den Lehrerinnen und Lehrern wurde freigestellt, ob sie in die Schule kommen oder ebenfalls daheimbleiben würden, berichtete Schulleiter Volker Franken auf WAZ-Nachfrage. „Wir haben Notfallseelsorger in der Schule“, sagte Franken am Donnerstagmorgen, die seien aber auch schon am Mittwoch selbst vor Ort gewesen. „Wir haben ein gut funktionierendes Kriseninterventionsteam“, so Franken. Am Donnerstagvormittag seien die Lehrer zusammengekommen, um über die Ereignisse des vorigen Tages zu sprechen – „Kolleginnen und Kollegen, die lieber zu Hause bleiben wollten, waren per Video zugeschaltet“, berichtete der Schulleiter. Franken lobte noch einmal die gute Zusammenarbeit mit der Polizei. „Wir haben uns immer sicher gefühlt“, sagte er.
Schülerinnen und Schüler sollen am Freitag in die Gesamtschule Bismarck zurückkehren
Die Schülerinnen und Schüler sollen am Freitag zurückkehren. Normalen Unterricht werde es aber dann nicht geben – „es ist ja ohnehin der Tag der Zeugnisvergabe“, so Franken. In ihren Klassen werden die Kinder und Jugendlichen dann mit ihren Lehrern über das am Mittwoch Erlebte sprechen. Auch vonseiten der Kirche solle es seelische Unterstützung für Schüler und Lehrer geben – das kündigte die Evangelische Landeskirche Westfalen an, die Trägerin der Gesamtschule ist.
Allerdings hat die Schule jetzt ein Zeitproblem. Am Mittwoch und Donnerstag liefen die Anmeldungen für das neue Schuljahr: „80 Leuten, die am Mittwoch vorbeikommen wollten, mussten wir natürlich absagen“, so Franken. Jetzt muss ein Ersatztermin gefunden werden: Da dieser aber auch mit den anderen Gelsenkirchener Schulen koordiniert werden müsse, sei das nicht so einfach, so der Schulleiter. Die wie immer vorgezogene Anmeldung an der EGG läuft laut Plan vom 17. bis 21. Januar. Eigentlich hatte die Schule sich verpflichtet, bis spätestens zum 25. alle Eltern informiert zu haben, ob ihr Kind aufgenommen wurde oder nicht. Die Anmeldungen an den Städtischen Gesamtschulen sind nämlich nur bis zum 26. Januar möglich.
Amok-Alarm: Fahndung nach dem Absender der Droh-Mail, IP-Adresse als Ansatzpunkt
Einen Tag nach der Amok-Drohung arbeiten die Ermittler fieberhaft daran, den Absender der Mail ausfindig zu machen. Welche Fortschritte und Ergebnisse die zuständige Polizeibehörde Münster dabei gemacht hat, darüber gibt es keine Angaben. „Wir wollen die Ermittlungen bei der Identifizierung eines Straftäters nicht gefährden“, sagte eine Sprecherin zur Begründung.
Ein Ansatzpunkt auf der Suche nach einem oder einer Tatverdächtigen ist die IP-Adresse, von der die Mail versandt worden ist. Mit der IP-Adresse – das ist eine Art digitaler Fingerabdruck, der aus Zahlenblöcken besteht – lässt sich ermitteln, von welchem Festnetz- oder Mobilfunkanschluss der Täter seine Internetverbindung hergestellt hat. Da hinter einem solchen Anschluss eine Person oder Firma steht, kann die IP-Adresse die Polizei so zum Täter führen.
Mit der IP-Adresse können Sicherheitsbehörden beim Provider (Telekommunikationsunternehmen) eine sogenannte Bestandsdatenabfrage durchführen und Auskunft darüber bekommen, welchem Anschluss die IP-Adresse zum Zeitpunkt der Tat zugewiesen war. Sind diese Daten noch beim Provider gespeichert, erhalten die Ermittler Auskunft über die Vertragsdaten (Name und Anschrift) des Anschlussinhabers und des potenziellen Täters.
Zwang zu Eile: Mindestspeicherfrist für IP-Adresse wird in Deutschland nicht umgesetzt
Eile ist bei der Fahndung über die IP-Adresse aber geboten: Denn anders als in anderen europäischen Ländern wird nach Behördenangaben in Deutschland für die Strafverfolgung und die Gefahrenabwehr keine Mindestspeicherfrist für IP-Adressen umgesetzt. Derzeit speichern die Provider die Informationen daher nur aus geschäftlichen Gründen (z. B. für die Abrechnung oder Störungsbeseitigung).
Dies sind im besten Fall vier bis sieben Tage, manchmal aber auch nur ein Tag oder wenige Stunden. Laut dem Onlineportal „Netzwelt“ speichern Telekom, Telefonica (Alice, O2, Hansenet) und 1&1 sieben Tage lang, Net Cologne vier Tage, Kabeldeutschland zwei Tage – Vodafone angeblich gar nicht.
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Die IP-Adresse hilft der Polizei in vielerlei Hinsicht, weil Täter heute oft im digitalen Raum anonym agieren und nicht mit ihrem Klarnamen, um beispielsweise eine erpresserische E-Mail zu verschicken, Missbrauchsdarstellungen hochzuladen oder einen Hass-Post in den sozialen Medien zu verbreiten.
SPD-, CDU- und AfD-Fraktion beantragen Sachstandsbericht für Bildungsausschuss
Die SPD-, CDU- und die AfD-Fraktion haben nach dem Amok-Alarm für die nächste Sitzung des Bildungsausschusses am 26. Januar „einen Sachstandsbericht“ jeweils über einen Dringlichkeitsantrag eingefordert.
Nach Ansicht der Sozialdemokraten sei es nun wichtig, „die Vorfälle sachlich aufzuarbeiten und sich von geeigneter Stelle umfassend ins Bild setzen zu lassen“. Man wisse, dass nach dem Vorfall ein beklemmendes Gefühl auch künftig bleiben werde und wünsche allen am Schulleben Beteiligten in Bismarck, dass sie die Vorfälle schnell verarbeiten können.
Zu welchen Aspekten Auskunft genau erteilt werden soll, ist in den Mitteilungen von SPD und AfD nicht aufgeführt. Lediglich die CDU wurde da präziser. Markus Karl, bildungspolitischer Sprecher der Union erbat sich auch Auskunft darüber, „wie und ob die vorhandenen Sicherheitskonzepte und Notfallpläne zu Verhinderung und Begegnung solcher Extremtaten funktionieren“.